Das Wort „Kraftwerksstrategie“ hat wohl schon jetzt gute Chancen, es zumindest auf die Shortlist für das Wort des Jahres in Deutschland zu schaffen. Anfang Februar hat die Bundesregierung ihre Eckpunkte dazu veröffentlicht. Seitdem wird heiß diskutiert. Die zentrale Frage ist: Wie können wir in Deutschland den Übergang zur Klimaneutralität schaffen und dabei die Energieversorgung sicherstellen – und das effizient, CO2-reduziert und bezahlbar? Dabei spielen auch mtu-Stromaggregate von Rolls-Royce eine Rolle. Dr. Daniel Chatterjee, Director Corporate Sustainability, Technology Management & Regulatory Affairs und Michael Stipa, Vice President Strategie, Geschäfts- und Produktentwicklung Stationäre Energieerzeugung im Rolls-Royce-Geschäftsbereich Power Systems, klären auf, welchen Beitrag diese bei der Energiewende leisten.
Dr. Daniel Chatterjee, beginnen wir einmal ganz vorn vorne: Was ist eine Kraftwerksstrategie?
Chatterjee: Im Jahr 2030 sollen mindestens 80 Prozent des verbrauchten Stroms in Deutschland aus erneuerbaren Quellen stammen – vor allem aus Windkraft- und Solaranlagen. Gleichzeitig sollen Kohlekraftwerke, vom Netz genommen werden. Um die Stromversorgungssicherheit rund um die Uhr zu gewährleisten, insbesondere wenn der Wind nicht weht oder die Sonne nicht scheint, werden Residualkraftwerke benötigt. Die Kraftwerksstrategie der Deutschen Bundesregierung besagt nun, das diese Rolles Gaskraftwerke, die absehbar auch mit klimafreundlichem Wasserstoff Strom erzeugen können, übernehmen. Bis zu zehn Gigawatt an Gas-Kraftwerksleistung will die Bundesregierung ausschreiben. Sie will die Planung und Genehmigung der Anlagen beschleunigen. Förderungen sollen aus dem Klima- und Transformationsfonds finanziert werden. Die Aufgaben von neuen Gaskraftwerken wird vielschichtiger sein: Sie werden zu einem "Resilienz-Rückgrat", das wetterbedingte Schwankungen in der Stromerzeugung bei den Erneuerbaren Energien ausgleicht. Sie springen also in der sogenannten Dunkelflaute an.
Der Strombedarf in Deutschland steigt in den nächsten Jahren extrem an...
Chatterjee: Ganz genau. Der Strombedarf auch in der Bevölkerung wächst, beispielsweise durch Elektroautos oder Heizungen. Der von der Bundesnetzagentur bestätigte Netzentwicklungsplan der vier Übertragungsnetzbetreiber geht von einer Verdopplung der Stromnachfrage in den nächsten zwanzig Jahren aus. Zudem ändern sich die Verbrauchsmuster. Insbesondere Elektroautos werden vor allem nachts geladen, wenn keine Sonne zur Verfügung steht.
Die deutsche Bundesregierung hat nun in ihrer Kraftwerksstrategie entschieden, neue Gaskraftwerke zu bauen, um den Weg zu einer sicheren, klimaneutralen Stromversorgung zu ebnen. Warum setzt sie dabei auf Gas?
Chatterjee: Im Vergleich zu Braun- oder Steinkohle entstehen bei der Verbrennung von Gas wesentlich weniger CO2-Emissionen, Stickoxide und Rußpartikel. Doch die Überlegungen gehen natürlich weiter: Stand heute müssen wir noch auf Gas setzen, doch in Zukunft wird auch blauer und grüner Wasserstoff verfügbar sein. Dieser soll in bestehenden Gaskraftwerken genutzt werden. Ist dieser Wasserstoff grün, das heißt aus erneuerbaren Quellen erzeugt, wäre unsere Stromversorgung dann komplett klimaneutral. Doch es geht nicht nur um die Ökobilanz: Gaskraftwerke sind in Bezug auf Startintervalle und Lastwechsel wesentlich flexibler als Kohlekraftwerke – und das ist entscheidend, sollen doch die Gaskraftwerke langfristig vor allem als Back-up und Netzunterstützung zur Verfügung stehen. Da müssen künftig noch viel kurzfristiger und häufig hoch- und runtergefahren werden.
Michael Stipa, generell kommen ja zwei Arten von Gastechnologie in Frage: Gasturbinen und Verbrennungsmotoren. Welche Technologie ist die bessere Wahl?
Stipa: Das kommt natürlich ganz auf den Einsatz an. Gas- und Dampfkraftwerke können dann ihre Stärke ausspielen, wenn über einen längeren Zeitraum viel Strom erzeugt werden muss – bei vielen Betriebsstunden unter Volllast und nur wenigen Neustarts sind sie effizienter als Gasmotoren und somit auch die günstigere Technologie. Doch der Bedarf wird sich in Zukunft wandeln. Die Menge der Stromerzeugung muss sich permanent dem tatsächlichen Bedarf anpassen. Daher brauchen wir eine flexible Lösung, und das sind Gasmotoren-Kraftwerke zweifelsohne. Sie bestehen aus vielen einzelnen Gasmotoren, die zusammengeschaltet werden. Dadurch können sie äußerst flexibel hoch- und runterreguliert werden. Ihr großes Plus: Sie müssen dafür nicht – wie bei Gasturbinen üblich – im sehr ineffizienten Teillastbereich betrieben werden. Vielmehr wird genau die Anzahl der Gasmotoren hochgefahren, die benötigt wird, und die laufen dann unter Volllast. Hat mein Kraftwerk beispielsweise eine Leistung von 50 Megawatt, es werden aber nur 30 Megawatt benötigt, dann fahre ich nur 12 Motoren hoch, die dann aber unter Volllast laufen. Regeln kann das unsere mtu-Automation. Sie kann den Einsatz der verschiedenen Gas-Aggregate so steuern, dass nur die Aggregate hochfahren, die tatsächlich benötigt werden. Das ist langfristig effizienter und kostengünstiger.