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Wir haben nicht noch einmal 100 Jahre Zeit

Veröffentlicht am 03 September 2021 von Jan Schumacher, Anika Emmerich

Vor gut einem Jahr ist Otto Preiss als COO in unseren Vorstand eingezogen. Im Interview blickt er zurück auf wichtige Ereignisse, erklärt, wie das Unternehmen fit wird für die Zukunft und warum ihm Arbeitssicherheit und Kundenzufriedenheit eine Herzensangelegenheit sind.

Im Mai 2020 ist Otto Preiss als Chief Operating Officer (COO) in den Vorstand von Rolls-Royce Power Systems eingezogen. Im Interview blickt er zurück auf wichtige Ereignisse wie die Neuaufstellung des Unternehmens mit EMPOWER 2030. Zudem erklärt er, wie das Unternehmen fit wird für die Zukunft und warum ihm Arbeitssicherheit und Kundenzufriedenheit eine Herzensangelegenheit sind.  

Herr Preiss, Sie sind im Mai 2020 mitten im ersten Lockdown der Covid-19-Pandemie als COO von Rolls-Royce Power Systems gestartet. Wie haben Sie die Zeit erlebt, was hat Sie hier besonders beeindruckt?  
Preiss: Es war schon speziell, als mich meine Frau Anfang Mai 2020 an der deutschen Grenze mit Rollkoffern zurücklassen musste, da sie mich zu diesem Zeitpunkt bei meinem Umzug nach Deutschland nicht begleiten durfte.  

Hier bei Rolls-Royce Power Systems hat mich sofort das professionelle Management in dieser schwierigen Situation durch unseren Krisenstab begeistert, aber auch die Bereitschaft der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie mitzutragen. Wir haben sehr fokussiert und über alle Bereiche hinweg zusammengearbeitet, um Kundenprojekte trotz widriger Umstände zu gewinnen und auszuliefern. Diese Eigenschaft, die Arbeit gerade auch bei besonderen Herausforderungen mit Herzblut anzugehen, das hat mich beeindruckt.  

Ein weiterer Meilenstein war unsere Neuaufstellung mit EMPOWER 2030. Wir haben uns hier eine neue Struktur gegeben und die Art unserer Zusammenarbeit neu definiert, um unsere Kunden noch besser bedienen zu können. Wir sind diesen Weg eingeschlagen, um für die Zeit nach der Pandemie zukunftsorientiert aufgestellt zu sein.

Sind denn schon positive Effekte aus dieser Neuaufstellung spürbar?  
Preiss: Ja, wir ernten bereits erste Früchte. Wir haben deutlich mehr Transparenz und damit Fokus durch die Aufteilung in die einzelnen Business Units. Wir sehen schneller, wie sich die verschiedenen   Geschäftsfelder entwickeln, was das für unsere Gesamtperformance bedeutet und welche Veränderungen sich ergeben, wenn wir an einzelnen Stellschrauben drehen. Das ermöglicht uns eine bessere Unternehmenssteuerung.  

Mit den eigenständigen Business Units tragen wir darüber hinaus der Tatsache Rechnung, dass unterschiedliche Geschäftsfelder verschiedene Herangehensweisen, Freiräume und Prozesse brauchen. Die Bindeglieder der Business Units sind dabei die Operational und Corporate Units wie Einkauf, Produktion, die Finanzabteilung oder der Personalbereich.  

Welche Themen liegen Ihnen derzeit am Herzen? Was sind Ihre persönlichen Schwerpunkte?
Preiss: Ich fand und finde es immer wieder sehr spannend und bereichernd, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie alle Ecken des Unternehmens kennenzulernen. Ich hatte in vielen Projekten Gelegenheit, gemeinsam mit ihnen die Ärmel hochzukrempeln und intensiv zusammenzuarbeiten, was am schnellsten Einblick in das Unternehmen und den Aufbau von Beziehungen erlaubt. Leider konnte ich durch die Reisebeschränkungen die Außenstandorte nicht in dem Maß besuchen, wie ich es gerne getan hätte. Das möchte ich nachholen, denn virtuelle Treffen funktionieren meiner Meinung nach am besten, wenn man sich zuvor persönlich getroffen hat.  

Außerdem liegen mir neben der Technologieführerschaft die Themen Arbeitssicherheit und Qualität am Herzen. Beiden möchte ich hier im Haus einen höheren Stellenwert geben. Arbeitssicherheit muss eine Herzenssache für jede Mitarbeiterin und jeden Mitarbeiter werden und ein Baustein der Arbeitskultur sein. Wenn wir auf gute Leistungen im Bereich der Arbeitssicherheit ebenso stolz sind wie auf die Inbetriebnahme eines tollen neuen Motors, dann haben wir viel erreicht.  

Sie haben Qualität und damit auch Kundenzufriedenheit angesprochen. Wo stehen wir hier?
Preiss: Technologieführerschaft, ein überragendes Kundenerlebnis und akzeptable Kosten – das ist ein wichtiger Dreiklang, bei dem meiner Meinung nach kein Element fehlen darf. Wenn jeder aus der Belegschaft das Gefühl hat, zu diesem Dreiklang maßgeblich beizutragen, dann kommen wir sehr weit.

Für mich bedeutet Kundenzufriedenheit nicht nur, dass das Produkt macht was es soll. Es ist viel mehr. Ein Kunde sollte zum Beispiel auch sagen, dass die Interaktion mit unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als sehr positiv wahrgenommen wird. Und er muss sich darauf verlassen können, dass wir halten, was wir ihm versprechen. Und dies in allen Belangen. Wir liefern, was und wann wir versprochen haben zu liefern. Wir antworten, wann wir eine Antwort versprochen haben. Wir sind da und arbeiten zusammen, wenn ein Kunde ein Problem mit unseren Produkten hat.  

Mit welchen Produkten wollen wir in Zukunft unsere Technologieführerschaft erhalten?  
Preiss: Lassen Sie mich zuerst erwähnen, dass wir trotz Pandemie die Investitionen in Forschung und Entwicklung erhöht haben – im Gegensatz zu den meisten Konkurrenten. Wir haben gesagt, dass wir gestärkt und gut gerüstet aus der Krise hervorgehen wollen, unter anderem durch Investitionen in die Produkt- und Lösungsentwicklung. So haben wir im vergangenen Jahr ca. 25 Prozent unseres Entwicklungsbudgets in neue Produkte und Technologien – wie Automation, hybride Antriebs- und Energielösungen, die Brennstoffzelle und vollelektrische Lösungen – investiert. Eine Vorreiterrolle ist uns hier sehr wichtig: Wir wollen unseren Kunden als zuverlässiger Partner auch für die neuesten Technologien zur Seite stehen.

75 Prozent des Entwicklungsbudgets ging in unser bestehendes Portfolio, also in unser Portfolio im Bereich der Verbrennungsmotoren. Damit werden wir noch über viele Jahre Geld verdienen. Unsere Ingenieurinnen und Ingenieure arbeiten daran, unser jetziges Motorenprogramm weiter zu entwickeln – von immer „sauberer“ bis hin zu CO2-neutral oder CO2-frei, beispielsweise mit nachhaltig erzeugten Kraftstoffen. Im Jahr 2030 müssen die Hälfte unserer angebotenen Verbrennungsmotoren andere Kraftstoffe verbrennen als Diesel oder Erdgas, wenn wir unseren selbst gesteckten Klimazielen nachkommen wollen. Und das wollen wir. Zusätzlich werden wir Lösungen ganz ohne den Verbrennungsmotor und damit mehrere Technologien parallel im Rennen haben müssen.    

Wie interessiert sind unsere Kunden an den neuen Technologien? Was müssen wir verändern, um sie anzubieten?
Preiss: Wie wir als Privatpersonen und Firma, erleben auch unsere Kunden einen zunehmenden Druck hin zu nachhaltigen Lösungen, sei es in Anbetracht von neuen rechtlichen Anforderungen oder mit Blick auf die Möglichkeit, an Finanzierungen zu kommen. Deshalb erleben wir heute schon ein reges Interesse an nachhaltigen Lösungen vonseiten der Kunden.

Darüber hinaus muss der Rahmen stimmen, damit Kunden ihre Angebote nachhaltig gestalten können. Es braucht zum Beispiel „Zapfsäulen“ an Häfen, damit Schiffe Wasserstoff tanken können, oder Einrichtungen zur nachhaltigen Herstellung von CO2-freien Kraftstoffen. Und: Wir selbst müssen konsequent an unseren eigenen Voraussetzungen arbeiten, denn wir haben nicht noch einmal 100 Jahre Zeit, um neue Produkte zu entwickeln, zu verfeinern und am Markt zu etablieren.

Lassen Sie uns nicht vergessen, dass neben all den neuen Produkten und Technologien auch unsere Kompetenzen und damit die Schulung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine äußerst wichtige Rolle spielen. So muss zum Beispiel unser Servicepersonal im Umgang mit Stoffen wie in Batterien und Wasserstoff geschult werden. Auch sicherheitstechnische Vorgaben für die Lagerung und Verwendung dieser Stoffe bringen neue Herausforderungen. Der Einkauf wird sich mit komplett anderen Komponenten befassen müssen. Und selbstverständlich brauchen wir im Entwicklungsbereich eine breitere Basis an Ingenieurswissenschaften als bisher. Dazu schulen wir einen Teil unserer Ingenieure, stellen aber auch ein.  

In den Ausbau unserer Produktionsstandorte wird kräftig investiert. Beispielsweise wird die Montagelinie der Baureihe 2000 umgebaut, das Werk im amerikanischen Mankato erweitert. Weshalb diese Investitionen, obwohl wir durch die Covid-19-Pandemie weniger Umsatz gemacht haben?
Preiss: Das hat viele Gründe. Unsere heutigen Produktionskapazitäten müssen wir so erneuern, dass die Fertigungsabläufe verbessert, die Arbeitssicherheit gestärkt und lokale Bedarfe nach unseren Produkten gedeckt werden können. Zudem müssen wir sie fit für unsere neuen Technologien und zur Herstellung unserer neuen Produkte machen. Deshalb wird zum Beispiel bei einigen Prüfständen in Augsburg nicht nur Erdgas, sondern in Zukunft auch Wasserstoff integriert. Mir ist es gerade angesichts des gegenwärtigen Technologiewandels wichtig, strategisch zu denken und zu handeln, wenn wir in Standorte investieren.  

Bleiben wir in der nahen Zukunft: Auf welches Ereignis freuen Sie sich besonders?
Preiss: Um tatsächlich nur eines zu nennen: Ich freue mich auf die erste Bahnhybridlösung für Personenzüge in England, die im September ihren Betrieb aufnimmt. Hier haben wir unser Versprechen eingehalten und sind der erste, der eine hybride Antriebslösung im Fahrgastbetrieb auf die Schiene gebracht hat. Eine tolle Teamleistung!  

Herr Preiss, vielen Dank für das Gespräch!  

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