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Wie funktioniert... Turboaufladung

Veröffentlicht am 19 Mai 2014 von Dr. Johannes Kech, Bilder von mtu

Turbolader geben Motoren ihre Power und ihre unverwechselbaren Charakter.
Friedrichshafen, Germany

Die Leistung eines Verbrennungsmotors lässt sich durch Turboaufladung steigern. Ein Turbolader verdichtet die Luft, so dass mehr Sauerstoff in den Brennraum strömt. So kann mehr Kraftstoff verbrennen und dementsprechend steigt die Motorleistung. Angetrieben wird der Turbolader vom Abgas, was turboaufgeladene Dieselmotoren sehr effizient macht. mtu entwickelt diese Schlüsseltechnologie für leistungsstarke Motoren im eigenen Haus.

Turboladerentwicklung und -fertigung bei mtu


Die Turboaufladung ist integraler Bestandteil des Motorkonzepts. Wie kaum ein anderes System formt sie die Charakteristik des Motors, da sie dessen Wirtschaftlichkeit, Dynamik und Emissionsverhalten beeinflusst. Daher zählt die Turboaufladung zu den Schlüsseltechnologien von mtu. Das Know-how für die Entwicklung und Herstellung von Abgasturboladern (ATL) hat mtu traditionell im eigenen Haus. Das Spektrum der mtu-Turbolader reicht für Motorleistungen von 400 bis 10.000 kW. Bei Motorkonzepten, in denen Synergieeffekte zum Nutzfahrzeugbereich verwendbar sind, kauft das Unternehmen Turbolader zu.

Der Weltmarkt für Turbolader wird von Pkw- und Nutzfahrzeug-Anwendungen dominiert. Demgegenüber sind die Stückzahlen der in Industriemotoren verbauten Lader verschwindend gering. Das führt dazu, dass Turboladerhersteller kaum spezielle Entwicklungen für die Hersteller von Industriemotoren durchführen. Wo die Kundenanforderungen an den Motor so hoch sind, dass sie von zugekauften Turboladern nicht erfüllt werden können, entwickelt und fertigt mtu die Turbolader selbst. Über alle Motorbaureihen betrachtet stellt mtu etwa 50 Prozent der eingesetzten Turbolader im eigenen Haus her. Das aktuelle Programm der mtu-Turbolader umfasst fünf Baureihen, ZRT 12, ZRT 13, ZRT 35, ZRT 36 und ZRT 57 (Abb. 1), und basiert auf einem Konzept mit möglichst hohem Gleichteileanteil. Beim neuen Bahnmotor der Baureihe 4000 mit zweistufig geregelter Aufladung beispielsweise sind alle drei Turbolader des Systems identisch. Das erleichtert die Logistik bei Produktion und Ersatzteilversorgung und vereinfacht die Ersatzteilbevorratung für die Kunden.

Abb. 1: Aktuelles Programm der mtu-Turbolader (ZRT 12, 13, 35, 36, 57) Die aktuelle Turbolader-Familie von mtu umfasst fünf Baureihen und basiert auf einem Konzept mit möglichst hohem Gleichteileanteil.

Dank der eigenen Entwicklung und Fertigung von Turboladern ist mtu in der Lage, auch Kundenwünsche nach Motoren mit sehr hoher Dynamik und Leistung bedienen zu können. mtu stimmt die Turboaufladung so auf den Motor ab, dass er seine hohe Leistung über die gesamte Bandbreite der Motorspezifikation sicher abgibt, in der Ebene ebenso wie in 4.000 Metern Höhe, bei niedrigen wie bei extrem hohen Außentemperaturen. Da die Turbolader von mtu speziell auf das Motorendesign abgestimmt sind, können sie sehr gut in das Gesamtpaket des Motors integriert werden. Das macht den Motor besonders kompakt — ein entscheidender Vorteil bei Anwendungen mit beengten Bauraumverhältnissen.

In den letzten Jahren haben sich die Einsatzbedingungen einiger Anwendungen verschärft. Die Antriebsmotoren sind höheren Lastwechselzahlen ausgesetzt, was auch Rückwirkungen auf die Lebensdauer der Turbolader hat. mtu hat diese Veränderung bei der Entwicklung von Turboladern berücksichtigt, die Dauer bis zur Überholung (Time Between Overhaul: TBO) weiter optimiert und auf die der Motoren abgestimmt. Beim Bahnmotor der Baureihe 4000 beträgt die TBO der Turbolader bis zu 15.000 Stunden je nach Lastwechselanzahl pro Stunde. Das bedeutet geringe Wartungszeiten und -kosten, auch für die Lader. Im Entwicklungsprozess der Turbolader nutzt mtu die Möglichkeiten effizienter Berechnungs- und Simulationswerkzeuge. Ein neuer Turbolader hat eine Kette analytischer Optimierungen unter anderem in den Bereichen Thermodynamik, Strukturmechanik, Dauerfestigkeit und Berstfestigkeit (Containment) durchlaufen, bevor er auf dem Prüfstand getestet wird. In der Analytik werden zur Optimierung der Komponente grundsätzlich dreidimensionale Berechnungsverfahren zur Simulation der Strömung und der strukturmechanischen Belastung eingesetzt (Abb. 2). Damit stellt mtu sicher, dass die Turbo­lader im späteren Betrieb die geforderten Eigenschaften haben und über ihre gesamte Lebenszeit hinweg behalten.

Abb. 2: Einsatz von dreidimensionalen Berechnungsverfahren zur Simulation der Strömung und der strukturmechanischen Belastung zur Optimierung des Turboladers Die Turbolader müssen über den kompletten Lebenszyklus hinweg die geforderten Eigenschaften beibehalten. Um dies sicherzustellen, arbeitet mtu in der Analytik grundsätzlich mit dreidimensionalen Berechnungsverfahren zur Simulation der Strömung und der strukturmechanischen Belastung.

Turbolader sind im Betrieb thermisch hoch belastet. Entsprechend werden Dicht- und Lagerstellen thermisch entkoppelt und gegebenenfalls wassergekühlt. Um die Oberflächentemperatur zu begrenzen, setzt mtu bei hochaufgeladenen Motoren eine wassergekühlte Verdichterspirale ein, wodurch gleichzeitig der Ladeluftkühler entlastet wird. Die Turbine ist in Marineanwendungen in einem wassergekühlten Trägergehäuse eingesattelt (Abb. 3). Damit erfüllen die Turbolader auch die SOLAS-Richtlinie (Safety of Life at Sea) für Marineanwendungen, nach der die Oberflächentemperatur 220 Grad Celsius aus Sicherheitsgründen nicht überschreiten darf.

Abb. 3: Hochleistungslader mit Wasserkühlung von Gehäuse und Verdichterspirale Durch die Wasserkühlung von Gehäuse und Verdichterspirale wird die Oberflächentemperatur des Motors begrenzt, damit sind die Turbolader von mtu thermisch besonders robust.

Umsetzung der Turboaufladung bei mtu

mtu rüstet alle Motoren der verschiedenen Baureihen grundsätzlich mit Turboaufladung aus. Innerhalb einer Baureihe wird die Aufladung auf die spezifischen Anforderungen der einzelnen Anwendungen abgestimmt. So benötigt ein Stromerzeugungsmotor, der immer auf gleicher Drehzahl läuft, eine andere Laderabstimmung als ein mobiles Fahrzeug. Denn
der Motor für ein Fahrzeug wird dynamisch betrieben — er muss eine hohe Leistung vom Leerlauf bis zur Höchstdrehzahl abgeben — und entsprechend müssen auch die Turboladerkennfelder auf den breiten Drehzahlbereich abgestimmt sein. Die Herausforderung dabei: Ein Turbolader kann entweder für einen großen Drehzahlbereich oder für hohen Ladedruck ausgelegt werden. Für die Motoren dynamischer Anwendungen hat mtu daher die Turbolader so angepasst, dass sie ausreichend hohen Ladedruck liefern und einen möglichst breiten Drehzahlbereich abdecken.

Bei Anwendungen, die eine noch dynamischere Leistungsabgabe fordern, insbesondere im Schiffsbereich, wird bei mtu das Konzept der Registeraufladung eingesetzt. Dabei werden Turbolader sequential kombiniert. Ein Turbolader erzeugt den Ladedruck für niedrige Motordrehzahlen. Dreht der Motor höher oder soll er eine höhere Last abgeben, werden weitere Turbolader zugeschaltet. Damit bekommt der Motor ausreichend Luft.

Zur Darstellung einer hohen Fahrdynamik verfügen Motoren der Baureihe 890, die für Höchstleistungen in militärischen Fahrzeugen konzipiert sind, über Turbolader mit einer variablen Turbinengeometrie. Über verstellbare Flügel wird das Abgas bei dieser Technik so an die Schaufeln der Turbine gelenkt, dass sie bei niedriger Drehzahl schnell hochläuft und danach einen hohen Abgasdurchsatz erlaubt (Abb. 4)

Abb. 4: : Turbolader mit variabler Turbinengeometrie (VTG) Mit einer variablen Turbinengeometrie lassen sich Leistungsabgabe und Ansprechverhalten des Turboladers besser an die dynamischen Betriebsbedingungen des Motors anpassen. Über verstellbare Führungen wird das Abgas so an die Schaufeln der Turbine gelenkt, dass sie bei niedriger Drehzahl schnell hochlaufen und danach einen hohen Abgasdurchsatz erlauben.

Für hohe Motorleistungen setzt mtu bei den neuen Motorgenerationen eine zweistufige Aufladung ein. Bereits Anfang der 1980er-Jahre hatte mtu die Baureihe 1163 mit einer komplett integrierten zweistufen Aufladung mit Zwischenkühlung ausgestattet. Bis zu fünf Ladergruppen, bestehend aus Hoch- und Niederdruckstufe in Registeranordnung, verhelfen dem Motor zu einer Leistung von 7.400 kW.

Neue Anforderungen an die Aufladung aufgrund neuer Emissionsgesetze
Heute wird die Weiterentwicklung der Motoren maßgeblich durch die immer strengeren Emissionsnormen bestimmt. So müssen zusätzliche Systeme, die die Entstehung von Dieselpartikeln oder Stickoxiden während der Verbrennung vermeiden oder sie im Nachhinein reinigen — Miller-Verfahren, Abgasrückführung (AGR), selektive katalytische Reduktion (selective catalytic reduction, kurz SCR) oder Dieselpartikelfilter (DPF) — in das Motorgesamtkonzept integriert werden. Für mtu ist die Turboaufladung bei diesen Niedrig-Emissionskonzepten eine der Schlüsseltechnologien. Denn nur mit einem angepassten Aufladesystem lassen sich die tendenziell negativen Auswirkungen dieser zusätzlichen Systeme auf die Motorleistung und -dynamik verhindern. Allen Systemen zur Emissionsreduzierung gemeinsam ist, dass sie die Wirkung der Turboaufladung beeinträchtigen: Beim Miller-Verfahren, der Abgasrückführung und dem Dieselpartikelfilter steigt der Abgasgegendruck; bei der Abgasrückführung steigt die Luftmasse, die in den Zylinder befördert werden muss. Der Turbolader muss — vereinfacht gesagt — die Luft stärker beziehungsweise mehr Luft in den Brennraum pressen, um ihn mit genau so viel Sauerstoff zu versorgen wie vorher.

Wie Untersuchungen von mtu ergaben, reicht die bisherige einstufige Turboaufladung daher für die meisten Anwendungen künftig nicht mehr aus. Der Weg von mtu bei Motoren für strenge Emissionsnormen: ein zweistufig gere­geltes Aufladesystem (Abb. 5). Es sorgt in jedem Betriebspunkt und auch unter extremen Randbedingungen (Ansauglufttemperatur, Höhe, Gegendruck) für eine gleichbleibend gute Frischluftversorgung des Motors. Dazu wird die Luft durch Niederdruckturbolader vorverdichtet und in Hochdruckturboladern nachverdichtet. Die Regelung des Aufladesystems ist in die von mtu selbst entwickelte elektronische Motorsteuerung (ECU: Engine Control Unit) des Motors integriert.

Abb. 5: Zweistufig geregeltes Aufladesystem zur Erfüllung der aktuellen und künftigen Emissionsnormen Da die einstufige Turboaufladung bei den meisten Anwendungen zur Erfüllung der aktuellen und künftigen, immer strenger werdenden Emissionsnormen nicht mehr ausreicht, setzt mtu bei den meisten aktuellen Baureihen ein zweistufig geregeltes Aufladesystem ein.

mtu setzt die innovative zweistufig geregelte Turboaufladung zum ersten Mal im neuen Bahnmotor der Baureihe 4000 ein. Dieser erfüllt die seit 2012 für Diesellokomotiven in Europa geltende Emissionsvorschrift der EU-Richtlinie 97/68/EG Stufe IIIB. Auch für weitere mobile Anwendungen, beispielsweise im Bereich Bau und Industrie, ist die zweistufig geregelte Aufladung in den aktuellen Baureihen von mtu umgesetzt beziehungsweise fest eingeplant. Bei Stationäranwendungen, zum Beispiel zur Stromerzeugung, bei denen die Anforderung an die Turboladerdynamik weniger hoch ist, wird auch weiterhin die kostengünstigere einstufige Turboaufladung zum Einsatz kommen.

Ladeluftkühlung


Wenn der Turbolader die Ansaugluft verdichtet, erwärmt sie sich. Durch die Ladeluftkühlung wird die Dichte weiter erhöht, so dass mehr Masse und damit auch mehr Sauerstoff in den Zylinder gelangt. Die zweistufig geregelte Aufladung arbeitet mit zwei Ladeluftkühlern. Der erste ist zwischen Niederdruck- und Hochdruckstufe, der zweite nach der Hochdruckstufe angeordnet. Die Zwischenkühlung ermöglicht eine effizientere Verdichtung in der nachfolgenden Hochdruckstufe, was zu einem höheren Wirkungsgrad des Aufladesystems führt. Bei allen mtu-Motoren sind die Ladeluftkühler hochintegriert am Motor angeordnet und benötigen wenig Bauraum.

Bei einer einstufigen Turboaufladung wird der Ladedruck für den gesamten Drehzahl- und Lastbereich des Motors durch einen einzigen Lader erzeugt.
Bei einer einstufigen Registeraufladung werden sequential in Abhängigkeit von Motordrehzahl und Motorlast über Luft- und Abgasklappen Turbolader parallel zugeschaltet.
Grundsätzlich ist die Funktionsweise einer zweistufigen Registeraufladung identisch mit der einer einstufigen Registeraufladung. Es wird allerdings statt eines einzelnen Laders jeweils eine Ladergruppe aus zwei Turboladern zu- oder abgeschaltet.
Bei der zweistufig geregelten Turboaufladung sind zwei Turbolader in Reihe geschaltet. In dem von mtu verfolgten Konzept wird der vom Zylinder kommende Abgasstrom geteilt, ein Teil strömt durch die Hochdruckturbine (HD), ein Teil wird an der Turbine über einen regelbaren Bypass vorbeigeleitet. Der gesamte Massenstrom fließt danach durch die Niederdruckturbine (ND).

Zusammenfassung

Die Turboaufladung verhilft mtu-Motoren zu geringem Verbrauch und hoher Leistung in einem breiten Drehzahlbereich. Sie ist neben weiteren Schlüsseltechnologien von mtu ein wichtiger Baustein, um die künftig immer strengeren Emissionsanforderungen ohne Einbußen bei Motorleistung oder Effizienz zu erfüllen. Traditionell entwickelt und fertigt mtu-Turbolader für Hochleistungsanwendungen im eigenen Hause. Die Turbolader sind speziell auf die hohen Anforderungen der Motoren bezüglich Wirtschaftlichkeit, Leistung, Dynamik und Lebensdauer abgestimmt. Dank des hohen Integrationsgrades der mtu-Lader in das Motorpaket profitiert der Kunde von einem kompakten Motordesign mit geringem Bauraumbedarf.

Der Inhalt der Beiträge entspricht dem Stand zum jeweiligen Erscheinungsdatum. Sie werden nicht aktualisiert. Weitergehende Entwicklungen sind deshalb nicht berücksichtigt.

Kontakt

Dr Johannes Kech
Tel.:
+49 7541 90 2153
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