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Wie machen wir... Pleuel?

Veröffentlicht am 14 Januar 2021 von Julia Rieß, Bilder von Robert Hack

Auf den ersten Blick erscheint ein Pleuel einfach. Doch das Kernbauteil des Motors ist komplex wie kaum ein anderes. Als Verbindung zwischen Kolben und Kurbelwelle muss es präzise funktionieren – und ist dabei extremen mechanischen Belastungen ausgesetzt.

Acht bis 20 Pleuel pro Motor setzen die lineare oszillierende Auf- und Abbewegung der Kolben in die kreisförmige rotierende Bewegung der Kurbelwelle um – jeweils durch Lager beweglich verbunden – und werden durch Zug, Druck, Biegung und Knickung beansprucht. „Wenn die Qualität stimmt, hat das Pleuel durch seine spezielle Konstruktion eine enorme Stabilität und hält diesen starken äußeren Einflüssen stand“, erklärt Frank Schneider, Leiter der Pleuelfertigung im mtu-Werk von Rolls-Royce „Wenn das Pleuel aber brechen würde, gäbe es einen kapitalen Motorschaden. Das Motorgehäuse würde von dem Teil leer geräumt werden.“ Damit so etwas nicht passiert, ist bei der Produktion höchste Präzision gefragt. „Unsere Toleranz bei einem Pleuel der 4000er-Baureihe beträgt 10 My“, sagt Schneider. Ein My (μ) steht für 0,001 Millimeter. Zum Vergleich: Die Stärke eines menschlichen Haares beträgt etwa 50 My. „Um Haaresbreite“ wäre in der Pleuelproduktion schon sehr weit daneben.

Das kleinste Pleuel ist 28 cm lang und wiegt 3 Kilogramm. Das größte in Friedrichshafen hergestellte Pleuel ist 110 cm lang und wiegt 103 Kilogramm.

Vom Rohling zum mtu-Qualitätspleuel

Die Rohteile werden in einer Schmiede nach Anweisung von Rolls-Royce gefertigt und im Werk von Maschinen in die gewünschte Form gebracht. Wobei gehörig Späne fallen: Bei der 4000er-Baureihe wiegt das Rohteil fast 15 Kilogramm und nach der Vorbearbeitung nur noch 9,75 Kilogramm. Wie mygenau der Schliff ist, wird an der zweiten Station überprüft. Hier kommen die Pleuel auf eine ungewöhnliche Waage: Sie wiegt die Masse in Bewegung. Da das Pleuel auf der einen Seite rotiert und auf der anderen Seite oszilliert, kommt es auf die exakte Balance in der Bewegung an. Gleichzeitig hat die Pleuelstange hier schon einen Härte- und Verzugstest zu bestehen. Und dann gerät das Bauteil unter Beschuss. In der sogenannten „Verfestigungs-Strahlanlage“ wird es mit vielen Kugeln, die einen Durchmesser von einem Millimeter haben, beschossen. Dadurch verdichtet sich die Oberfläche und sie erhält eine bessere Druckeigenspannung.

Produkte mit Gedächtnis und Identität

Jedes Pleuel bekommt seine ganz eigene Identität. Diese wird in Form einer Serialnummer und eines Codes eingraviert, pro Pleuel zwei Mal. Denn im nächsten Schritt wird es in zwei Teile zersägt – das ist notwendig, damit es an der Kurbelwelle befestigt werden kann – und damit die zwei Teile nicht aus Versehen getrennt werden, bekommen beide die identische Gravur. Der Code enthält Informationen zur Gießerei, der Charge, dem Tag und der Uhrzeit – kurz: das Produktgedächtnis. Nachdem ein Mitarbeiter das Pleuel zersägt und die messerscharfe verzahnte Schnittstelle geschliffen hat, montiert er die beiden Teile nach streng vorgegebenen standardisierten Arbeitsschritten wieder zusammen. Dabei prüfen zwei Scanner blitzschnell die Codes und damit, ob die Teile zusammenpassen. Tun sie das nicht, schaltet das Schraubwerkzeug automatisch ab.

Rolls-Royce produziert 40 verschiedene mtu-Pleuel-Modelle plus deren Unterstufen. Für die 4000er-Reihe entstehen pro Jahr 60.000 bis 70.000 Stück.
Maschinelle Prüfungen und Sichtkontrollen durch die Mitarbeiter gehen Hand in Hand.

Komplex, aber stark: das Lager

Ein Pleuel hat ein kleines und ein großes Pleuelauge. Das kleine Pleuellager ist mit dem Pleuel fest verbunden, das große, zweigeteilte, kann über eine Schraubverbindung am Hubbolzen der Kurbelwelle befestigt werden. Den Lagern kommt eine überaus wichtige Bedeutung zu. Die genau richtige Mischung aus Beweglichkeit und Stabilität ist ausschlaggebend. Und je besser die ist, desto mehr Motorleistung kann man dem Pleuel zumuten. Darum wurde vor acht Jahren in eine Technologie investiert, die diese Eigenschaft erheblich verbessert: Sonatstrahlen. Schneider erklärt: „Mittels Ultraschall werden kleine Kügelchen sechs Minuten lang hin- und hergeschossen. Sie treffen dabei die Oberfläche der Innenseite des Pleuelauges und schaffen eine Oberflächenstruktur, die der Lagerschale einen unvergleichlich guten Halt bietet. Mit diesem Grip kann es extremen Belastungen standhalten.“ So kann die Motorleistung gesteigert werden, ohne dass die Haltbarkeit der Motoren darunter leidet.

Kein Pleuel verlässt das Werk, bevor es der abschließenden Sichtkontrolle, Härte- und Rissprüfung unterzogen wurde. Dann steht der Karriere im richtigen mtu-Motor nichts mehr im Wege.

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