Rettungs-WG auf See
Veröffentlicht am 30 Juni 2012 von Katrin Beck, Bilder von Robert Hack
Ein Tag an Bord des Seenotrettungskreuzers Harro Koebke.
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ZustimmenDie Sassnitzer Seenotretter der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) haben ein neues Zuhause. Ein strahlend weißer und 25 Knoten schneller Seenotrettungskreuzer: die Harro Koebke. Vor wenigen Wochen ging er in den Dienst an seinem Einsatzort auf der Ostseeinsel Rügen. Jetzt richten die Seenotretter ihr neues Zuhause ein und machen den Kreuzer fit für den Einsatz.
Montagmorgen auf Rügen. Der Seenotrettungskreuzer Harro Koebke glänzt im Sonnenlicht. Am frühen Morgen ist es im Sassnitzer Hafen noch ruhig. Die ersten Touristenboote machen sich auf den Weg zu den berühmten Rügener Kreidefelsen, ein paar Segler fahren auf die Ostsee hinaus. An der westlichen Mole liegen der Reihe nach ein blau-weißer Schlepper, dann der Seenotrettungskreuzer Harro Koebke, ein grünes Zoll- und ein blaues Polizeiboot. Auf den ersten Blick scheint alles noch zu schlafen. Nur an Bord des Seenotrettungskreuzers summt es wie in einem Bienenstock. Der Staubsauger – von der Crew auch liebevoll Fiffi genannt – summt, in der Kombüse klappern die Töpfe, Türen gehen auf und zu – morgendliche Routine auf der Harro Koebke. Vormann Hartmut Mühlwald und seine fünf Männer bereiten sich und den Seenotrettungskreuzer auf einen neuen Tag vor. So ein ruhiger Morgen ist die beste Zeit für Jörg Bollnow und Dirk Neumann, das neue Netz zur Rettung Schiffbrüchiger fertig zu machen und an der Reling des Seenotrettungskreuzers zu befestigen. Vieles an Bord ist noch nicht so, wie es die Seenotretter gerne haben möchten. „Früher, auf der Wilhelm Kaisen, haben wir repariert und in Stand gehalten, jetzt richten wir uns bestmöglich für Rettungen und das tägliche Leben an Bord ein“, sagt der sympathische Vormann und ergänzt: „Wir werden bestimmt ein halbes Jahr benötigen, bis uns alles passt.“ Braun gebrannt steht er in seinem roten Overall an der Reling. Seine blauen Augen blicken stolz auf sein neues Schiff. Er sieht aus wie einer, auf den man sich verlassen kann, der sein Wort hält. Seine beiden Nautiker-Kollegen Bollnow und Neumann arbeiten weiter am Netz. Sie reden wenig. Kein Wunder, viele Norddeutsche sind so. Fällt doch mal ein Wort zwischen den gelassenen Seemännern, hört man das typisch Plattdeutsche, gemischt mit ein bisschen ostdeutschem Dialekt. „Gut so?“ „Ja det passt!“ Plötzlich ein pfeifender Alarm: Ist jemand in Not? Ein Einsatz? Die Crew bleibt ganz gelassen. Nur Vormann Mühlwald rennt auf die Brücke, um zu sehen, was los ist – und kommt ganz entspannt zu seinen Kollegen zurück. Falscher Alarm. Das Telefon hat geklingelt. „Wir müssen uns noch an das eine oder andere hier gewöhnen“, erklärt Mühlwald.
Station Sassnitz
Der Seenotkreuzer Harro Koebke und das Tochterboot Notarius sind die zweitgrößte Einheit der Flotte der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS). Außerdem ist er das größte Schiff der Gesellschaft in der Ostsee. Seine Station: Sassnitz auf Rügen. Sein Revier: die Ostsee zwischen Kap Arkona und der Insel Greifswalder Oie vor Rügen. Das 36,5-Meter-Schiff ersetzt einen alten Seenotrettungskreuzer, der nach 34 Einsatzjahren ausgemustert wurde. Zur Stammbesatzung gehören elf Rettungsmänner, wovon sich jeweils fünf auf Wache, also im Dienst auf dem Schiff, befinden. Im Durchschnitt verbringen die Seenotretter 14 Tage rund um die Uhr an Bord, immer bereit für einen Einsatz. Seenotrettung hat auf Rügen schon mehr als 100 Jahre Tradition. Die Harro Koebke ist der fünfte Seenotrettungskreuzer in Sassnitz. Wie sein Vorgänger, die Wilhelm Kaisen, fährt er mit mtu-Motoren. Zwei Motoren vom Typ 8V 4000 M70 und ein Motor vom Typ 16V 4000 M71 beschleunigen das Schiff auf bis zu 25 Knoten, gut 46 Kilometer pro Stunde.
Die elf Männer arbeiten in wechselnden Schichten zusammen. Dazu kommen zwölf Freiwillige, die einspringen, wenn Not am Mann ist. Mindestens fünf Mann sind im Einsatz. Sie verstehen sich gut, haben immer einen Scherz auf den Lippen und ein Lächeln im Gesicht. Und sie sind ein eingeschworenes Team, jeder weiß, was der andere tut und vertraut ihm. Ein wichtiger Punkt bei den Rettungen. „Im Notfall müssen wir uns aufeinander verlassen können“, erklärt Mühlwald. Nicht nur im Einsatz muss es passen, auch im Alltag muss sich die Mannschaft bewähren. Zu fünft leben sie auf engstem Raum an Bord des Schiffes. Zwar hat jeder seine eigene Kammer und im Dienst dürfen sie das Schiff nur kurz verlassen. „Unser Tag besteht aus viel Routine“ so Mühlwald. Das fängt damit an, dass immer die Nautiker, sie erkennt man an ihren roten Hosen, das Frühstück machen. Im Gegenzug machen die Männer mit den grünen Hosen, die Maschinisten, Abendbrot“, ergänzt er. Frauen gibt es an Bord der großen Schiffe nicht. Auf den ausschließlich von Freiwilligen gefahrenen kleinen Booten sind jedoch auch weibliche Besatzungsmitglieder im Einsatz.
Manfred Lucas ist 1. Maschinist auf der Harro Koebke. Er ist eindeutig der Ruhepol der Mannschaft. Gelassen, souverän und ein bisschen nachdenklich. Im Maschinenraum im Bauch des Schiffes schreibt er sich alle wichtigen Daten vom Display des jeweiligen Motor-Wachstandes auf. Die Temperatur der Kühlmittel der drei mtu-Motoren, Drücke und andere Daten sammelt er akribisch in seinem Notizbuch. Die meisten Informationen jedoch, wie zum Beispiel die Menge des vorhandenen Brennstoffs oder den Einspritzdruck bekommt er als Datenblatt ausgedruckt. „Früher mussten wir noch richtig arbeiten. Heute ist so viel Elektronik dabei, dass wir fast nichts mehr selbst reparieren können“, so Lucas. Es schwingt ein bisschen Wehmut mit in der Stimme, wenn er das sagt. Lucas kennt die alten mtu-Motoren der Baureihen 331 und 396 noch. Er hat oft genug an ihnen geschraubt. „Das neue Automationssystem, das Callosum, ist schon toll.“ Callosum überwacht und steuert sowohl die Antriebsanlagen als auch die schiffseitigen Systeme. „Da brauche ich gar nicht mehr so oft in den Maschinenraum während der Fahrt“, freut sich der erfahrene Maschinist. Probleme zeigt es jetzt am Computer an“, erklärt der Mann im grünen Overall. Er setzt seine Brille auf und notiert wieder Daten. Nur wenig später steht Manfred Lucas in der Kombüse. Heute gibt es Senfeier. „Das kann nur Manne so gut, deshalb haben wir uns das Essen gewünscht“, schwärmt Maschinist Kay Trottnow. Jeden Tag kocht ein anderes Besatzungsmitglied. „Den Speiseplan legen wir immer am Mittwoch bei Schichtbeginn fest.“ Essen gibt es pünktlich um zwölf – ein wichtiges Mannschaftsritual für alle an Bord.
Das neue Zuhause der WG
Vor fünf Jahren begann die DGzRS mit der Planung des neuen Seenotrettungskreuzers. Die Sassnitzer waren bei der Planung von Anfang an im Boot. „Viele Wünsche hat uns die Gesellschaft erfüllt, aber nicht alle. Wir hätten gerne einen größeren Seenotrettungskreuzer gehabt“, schmunzelt Vormann Mühlwald. Das allerdings war zu teuer. Denn die DGzRS finanziert sich ausschließlich aus Spenden und nicht aus Steuergeldern. Vor zweieinhalb Jahren schließlich startete die Fassmer-Werft mit dem Bau des neuen Schiffs. Häufig war einer von der Mannschaft dabei. Und als es dann um den Einbau der Motoren ging, war klar, wer vor Ort sein würde: Manfred Lucas. Schon jetzt, nur wenige Wochen nach der Indienststellung, kennt er die mtu-Motoren, aber auch alle anderen Systeme an Bord, auswendig. Sein derzeitiges Sorgenkind: die biologische Wasserwiederaufbereitungsanlage funktioniert nicht richtig, das Abwasser wird nicht sauber. Jeden Tag misst er den Bakteriengehalt. „So langsam bekommen wir das Problem in den Griff“, brummt er mit einem Blick auf ein großes Reagenzglas mit brauner Flüssigkeit. Bei der Planung holten die Verantwortlichen nicht nur die Sassnitzer Mannschaft ins Boot. Auch Seenotretter aus Helgoland waren bei den Gesprächen dabei. Denn das Tochterboot des Seenotkreuzers ist eine Neuheit. „Am Anfang waren wir von diesem Festrumpfschlauchboot gar nicht überzeugt“, so Mühlwald. „Dann kam die britische Herstellerfirma und wir konnten mit den Helgoländern gemeinsam das Boot testen. Es hat uns wirklich überzeugt!“ schwärmt der Vormann. Die Sassnitzer sind jetzt die ersten mit einem Festrumpfschlauchboot mit geschlossener Kajüte bei der DGzRS. Die Helgoländer werden Ende des Jahres ein typgleiches Tochterboot bekommen. Regelrecht ins Schwärmen gerät Maschinist Kay Trottnow. Er war mit zwei Kollegen in Schottland zum Training mit dem Tochterboot. „Drei oder vier Meter hohe Wellen sollten wir bei voller Geschwindigkeit durchfahren. Das kostetet schon Nerven und war echt toll!“. Das 32 Knoten schnelle Tochterboot ist am Heck des Seenotrettungskreuzers untergebracht. Wie die Harro Koebke ist es so gebaut, dass es sich, falls es kentern würde, wieder selbst aufrichtet.
L
einen los
Am Nachmittag geht die Harro Koebke auf Kontrollfahrt. Bevor das Brummen der Motoren erklingen kann, geht Manfred Lucas in den Maschinenraum. Die mtu-Motoren sind immer vorgewärmt. So können sie schneller auf voller Leistung fahren. Lucas überprüft die drei Maschinen und innerhalb von wenigen Minuten gibt er das Okay. Erst jetzt starten die Motoren. Der Boden an Deck vibriert leicht – das satte Brummen der mtu-Motoren ertönt. Langsam fährt der Rettungskreuzer aus dem Sassnitzer Hafen, vorbei an Europas längster Mole in Richtung Rügens berühmter Kreidefelsen. Auf der Brücke herrscht reger Betrieb. Nautiker Dirk Neumann hat das Steuer übernommen. Sorgfältig überwacht er das Radar und die anderen Anzeigetafeln. Vormann Mühlwald steht mit dem Fernglas daneben. Auch wenn es nur eine Kontrollfahrt für die Motoren ist: Die Männer schauen auf dem Wasser nach dem Rechten. Langsam beschleunigt Neumann auf bis zu 25 Knoten hoch. Im Hintergrund sitzt Manfred Lucas. Er ist aus dem Maschinenraum nach oben gekommen und überwacht über das Callosum seine Motoren. Einspritzdruck, Temperatur und Brennstoffverbrauch. „Alles in Ordnung“, ruft Lucas „Die Motoren laufen rund.“ Alles in Ordnung ist auch auf See. Einige Segler nutzen den schönen Montag. Aber alle sind wohlauf. „Wir bergen erkrankte Menschen auf See, wenn es nötig ist und retten vor allem Schiffbrüchige aus Seenot“, erzählt Mühlwald. „Gestern allerdings haben wir ein Segelboot abgeschleppt, das im seichten Wasser festgefahren war.“
60 bis 80 Rettungseinsätze hat die Crew im Jahr. Wenn es dringend ist, können sie einen Rettungshubschrauber zur Unterstützung anfordern. Meistens aber begleiten Ärzte aus der Umgebung das Team. Unter Deck gibt es ein kleines Bordhospital, das mit allen notwendigen Geräten, wie Sauerstoffflaschen und EKG ausgestattet ist. Mindestens eines der Besatzungsmitglieder ist Rettungssanitäter. Für die Rettung besuchen sie alle regelmäßig Lehrgänge, einmal im Jahr den Kurs zur Wiederbelebung. „Manchmal gehört zu den Einsätzen auch, dass wir ein kleineres Boot zurück in den Hafen schleppen“, erzählt Mühlwald. Für die großen Schiffe kommt der Schlepper aus dem Sassnitzer Hafen. Zum Schluss der Kontrollfahrt testen die Seenotretter noch die Feuerlöschpumpe. Dazu hält Dirk Neumann die Harro Koebke langsam an. Wieder gibt Lucas das Okay zum Start, denn diesmal muss der 16V 4000 auf voller Drehzahl laufen. Es brummt laut und plötzlich schießt über der Brücke das Wasser aus dem Löschmonitor. Das Team testet das Schwenken nach links und rechts. Nur nach oben und unten will nicht gleich funktionieren. „Das müssen wir noch etwas üben“, so Mühlwald. Noch ist der Rettungskreuzer eben der Neue in der Männer-WG auf See.
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