STORY Kommerzielle Schifffahrt

„Die Emissionen müssen runter – jetzt sofort“

Veröffentlicht am 18 Mai 2021 von Lucie Maluck

Was passiert, wenn wir die Klimaerwärmung nicht auf möglichst 1,5 Grad begrenzen. Professor Hans-Otto-Pörtner, Mitglied des Weltklimarats, gibt eine düstere Prognose.
Sechs Jahre ist es her, dass sich die Menschheit auf der UN-Klimakonferenz von Paris ein großes Ziel gesetzt hat: Sie will die von ihr selbst verursachte Erwärmung der Erde auf deutlich unter 2 Grad, am besten auf 1,5 Grad begrenzen. Professor Hans-Otto-Pörtner, Mitglied des Weltklimarats und Meeresbiologe am Alfred-Wegener-Institut, fordert auf dem virtuellen mtu-Marine-Summit eindringlich die Einhaltung dieser Ziele. Auf dem mtu-Marine-Summit diskutieren Experten über die Zukunft der Schifffahrt. „Die gute Nachricht ist: Wir können die 1,5 Grad noch erreichen“, sagt Pörtner. Allerdings, und das ist seine wichtigste Botschaft, sind dafür schnelle und weitreichende Veränderungen notwendig – in der Schifffahrt genauso wie in der Industrie, im Transport oder in der Luftfahrt.

Professor Pörtner, die 1,5 Grad des Pariser Abkommens sind mittlerweile in aller Munde. Wie viel Luft haben wir denn noch, bis wir diese Latte reißen?

Um dieses Limit von 1,5 Grad einzuhalten, ist noch etwa ein Spielraum von einem knappen halben Grad. Um 1,1 Grad haben wir die Erde schon erwärmt, seit wir vor mehr als 150 Jahren mit der industriellen Revolution angefangen haben, massenhaft fossile Energieträger zu verbrennen. Aber, und das ist eine gute und ganz wichtige Nachricht: Aus naturwissenschaftlicher und technischer Sicht ist dieses Ziel noch zu schaffen.

Was müssen wir machen, um dieses Ziel zu erreichen?

Wir müssen schnell und weitreichend handeln: Bis 2030 müssen wir den Ausstoß von Treibhausgasen global um 45 % senken – verglichen mit dem Level von 2010. 2050 sollten wir dann bei „Netto-Null“ sein – so wie es im Pariser Abkommen vereinbart wurde.

Was genau bedeutet „Netto-Null“?

Das bedeutet, dass eigentlich gar keine Emissionen mehr in die Atmosphäre gelangen dürfen. Das werden wir aber nicht schaffen, da es immer Emissionen gibt, die sich nicht vermeiden lassen – beispielsweise aus der Landwirtschaft. Diese müssen wir aber durch CO2-Entfernung aus der Atmosphäre wieder ausgleichen, so dass die Klimabilanz netto wieder bei Null ist. Ab 2050 brauchen wir für die Klimastabilisierung bei 1.5 Grad sogar Netto-Negativemissionen, um Verzögerungen in der Emissionsreduktion auszugleichen.

Sie haben im Weltklimarat in einem Sonderbericht die Auswirkungen dargelegt, die ein Reißen dieses Ziels hätte. Welche Auswirkungen hätte dies denn auf die Menschen?

Bereits jetzt, bei einem Plus von etwa einem Grad, sind die Folgen des Klimawandels zu spüren. Der Meeresspiegel steigt, Extremwetterereignisse häufen sich und in der Arktis schmelzen die Gletscher. Schon heute sehen wir verheerende Waldbrände in Australien oder in den USA. Hitzewellen kosten jedes Jahr viele Menschenleben, nicht nur in Afrika, auch in Europa. Jeder zusätzliche Anstieg macht diese Folgen dramatischer. Übersteigt die Erwärmung die 1,5 Grad, erhöht sich das Risiko von langanhaltenden oder irreversiblen Veränderungen, wie dem Verlust einiger Ökosysteme, oder das Risiko eines nicht mehr bremsbaren Klimawandels.  

Auf 80 Prozent der Erdoberfläche wirkt sich der Klimawandel auf die lebenserhaltenden Systeme aus – von der Spitze der Berge bis in die Tiefe der Ozeane. Diese Veränderungen werden noch über Generationen hinweg anhalten. (Quelle: IPCC Special Report on the Ocean and Cryosphere in a Changing Climate [H.-O. Pörtner, D.C. Roberts, V. Masson-Delmotte, P. Zhai, M. Tignor, E. Poloczanska, K. Mintenbeck, A. Alegría, M. Nicolai, A. Okem, J. Petzold, B. Rama, N.M. Weyer (eds.)]. In press.)

Welchen Einfluss hat der Klimawandel auf den Meeresspiegel

Der Meeresspiegel hat sich in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts beschleunigt. Wenn wir jetzt reagieren und den Ausstoß von Emissionen massiv verringern, können wir es schaffen, den Anstieg auf etwa einen Meter bis zum Jahr 2100 zu begrenzen. Wenn wir nichts machen, wird er bis zum Jahr 2300 um drei bis fünf Meter steigen. Dann würden schon ab dem Jahr 2050 schmelzende Eismassen in tiefliegenden Küsten- und Inselregionen zu extremen Fluten führen. Viele Millionen Menschen würden ihre Heimat verlieren.  

Und was bedeutet die Erderwärmung für die Ozeane?

Der Klimawandel verändert die Meeresströmungen, erwärmt die Meere und gefährdet so das maritime Ökosystem. Das CO2 aus der Atmosphäre löst sich zum Teil im Meer, wobei Kohlensäure entsteht, der Ozean versauert. Zudem gibt es Hitzewellen im Meer, die bei vielen Lebewesen weiteren Stress verursachen. Mobile Meeresbewohner können in andere Meeresgegenden ziehen. Korallen dagegen bleichen aus. Selbst wenn wir die 1,5 Grad schaffen, werden 70 bis 90 Prozent der Korallen sterben. Liegen wir drüber, werden wir fast alle Riffe verlieren. Das wiederum raubt den Fischen in küstennahen Gebieten die Nahrungsgrundlage. Die küstennahe Fischerei in niedrigen Breitengraden ist schon jetzt erheblich gefährdet.  

Das sollte jedem mehr als eine Warnung sein. Was können wir tun, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen?

Wir müssen die Erkenntnisse der Wissenschaft akzeptieren und unsere Entscheidungen nach diesen ausrichten. Jeder kann etwas tun, jede noch so kleine Entscheidung ist wichtig. Es macht einen Unterschied, ob wir die Erderwärmung auf 1,5 oder 2 Grad begrenzen. Wir sollten alle uns heute und künftig zur Verfügung stehenden Technologien einsetzen, um den Klimawandel so gut wie möglich zu begrenzen – und beginnen müssen wir damit jetzt, die Zeit zum Diskutieren ist vorbei.  

Was muss in der Schifffahrt passieren? Sehen Sie in Wasserstoff die Zukunft?

Wasserstoff ist ein wichtiger Schlüssel zur nachhaltigen Energiegewinnung. Er kann aus der Hydrolyse von Wasser direkt als Energieträger eingesetzt werden oder auch in die Synthese von Kraftstoffen durch Binden und Recycling von CO2 eingehen. Damit ließen sich Netto- Emissionen im Schiffs- und Flugverkehr vermeiden. Das Problem: Wasserstoffsynthese und das Binden von CO2 ist energieaufwändig. Durch Wahl entsprechender Katalysatoren könnte dieser Aufwand reduziert werden, aber da gibt es noch Forschungsbedarf. Insofern ist der Weg das Ziel, wir müssen die Energiewende vorantreiben, auch wenn wir noch nicht alle Forschungsfragen beantwortet haben. Aber das war zu Beginn der Industriellen Revolution des 18. und 19. Jahrhunderts auch nicht anders.

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