Der Gas-Pionier
Veröffentlicht am 27 Februar 2019 von Anne-Katrin Wehrmann, Bilder von Doeksen
Die niederländische Reederei Doeksen freut sich auf zwei Fähren mit den neuen mobilen 16-Zylinder-Gasmotoren von mtu.
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ZustimmenSeit Jahren arbeitet die maritime Industrie daran, sauberer zu werden und Schiffsemissionen auf ein Minimum zu reduzieren. Gerade in sensiblen Ökosystemen wie dem Wattenmeer, das 2009 zum Weltnaturerbe erklärt wurde, sind nachhaltige Lösungen besonders dringend gefragt. Die niederländische Reederei Doeksen geht mit gutem Beispiel voran und setzt 2019 zwei allein mit Erdgas betriebene Fährschiffe ein, wodurch der Ausstoß von Schadstoffen erheblich sinken wird. Für den Antrieb sorgen die neuen mobilen 16-Zylinder-Gasmotoren von mtu.
Um diesen Arbeitsplatz haben ihn schon viele beneidet. Von seinem Schreibtisch aus hat Paul Melles einen grandiosen Blick auf das Wattenmeer: Bei klarer Sicht ist rechter Hand die westfriesische Insel Terschelling zu sehen, linker Hand ihre kleinere Schwester Vlieland. Etwa mittig befindet sich auf halbem Weg die Sandbank Griend, auf der regelmäßig Vögel rasten und brüten. Vor seiner großen Fensterfront hat der Geschäftsführer der niederländischen Reederei Doeksen, die von ihrem Sitz in Harlingen aus Fährverbindungen zu den beiden Inseln betreibt, ein großes Stativ mit Teleskop aufgestellt. „Damit kann ich prima abschalten“, sagt der 58-Jährige. „Und es gibt immer etwas zu sehen.“
Bald bekommt Melles jeden Tag etwas zu sehen, auf das er sich schon seit Langem freut: zwei neue Fährschiffe, die das Unternehmen im April 2016 bei der Werft Strategic Marine in Vietnam in Auftrag gegeben hat. Aktuell betreibt die Reederei neben drei Fähren, die sowohl Fahrzeuge als auch Passagiere zu den Inseln bringen, auch zwei Schnellfähren, einen Katamaran zum ausschließlichen Transport von RoRo-Frachtfahrzeugen sowie ein Wassertaxi. Mit der MS Midsland soll demnächst eine der älteren Fähren ausrangiert werden. „Wir waren auf der Suche nach einem neuen Fährkonzept, das sowohl nachhaltig als auch innovativ ist“, erläutert Melles, der früher selbst zur See gefahren ist und dann zunächst Technischer Leiter und 2001 schließlich Geschäftsführer von Doeksen wurde. Nach einer eigens durchgeführten Konzeptstudie entschieden sich die Verantwortlichen, statt einer großen Fähre zwei kleinere Katamarane bauen zu lassen – was nicht nur den Fahrplan flexibler macht und mehr tägliche Abfahrten nach und von Terschelling ermöglicht, sondern letztlich auch die Effizienz erhöht und damit die Betriebskosten senkt. Als Brennstoff der Wahl empfahl die Studie Flüssigerdgas (LNG) mit der Option, zukünftig Bio-LNG oder LBG (Liquified Bio Gas) zu verwenden.
Neu entwickelter Gasmotor überzeugt
Dem Geschäftsführer ist es ein großes Anliegen, die „Rederij Doeksen“ so umweltfreundlich wie möglich aufzustellen. „Der Klimawandel lässt sich nicht abstreiten, darum müssen wir handeln“, betont er. „Wir haben hier direkt vor der Tür eine wunderbare Landschaft, das Wattenmeer ist Weltnaturerbe. Die meisten Fahrgäste, die unsere Fähren nutzen, kommen wegen der schönen Natur – wegen der schönen Inseln, der sauberen und frischen Seeluft.“ Die Reederei nutze die Routen häufig, deswegen müsse sie auf die Umwelt aufpassen und sich um sie kümmern: „Das ist unser Alleinstellungsmerkmal. Wir sollten es darum pfleglich behandeln.“ Dazu gehört unter anderem auch, dass an allen Unternehmensstandorten grüner Strom genutzt wird, der Terminal in Harlingen von einer CO2-neutralen Pelletheizung beheizt wird und die bestehende Flotte perspektivisch ihre Emissionen reduzieren soll. Vor allem war aber von Anfang an klar, dass die beiden Schiffsneubauten einen umweltschonenden Antrieb erhalten sollten. „Ein vollelek-trischer Antrieb kam für uns mit den derzeit auf dem Markt vorhandenen Batteriesystemen noch nicht infrage“, erläutert Melles. „Terschelling ist 21 Seemeilen von Harlingen entfernt, da müssten wir nach jeder Fahrt die Batterien aufladen. Die Zeit haben wir aber nicht, und deswegen ist LNG momentan für uns die optimale Lösung.“
Flüssigerdgas hat gegenüber dem üblicherweise auf unseren Schiffen verwendeten Gasöl den Vorteil, dass es deutlich weniger Gefahrstoffemissionen verursacht. „Als wir mit der Entwicklung unserer neuen Fähren begannen, wussten wir, dass mtu gerade an einem Gasmotor arbeitet“, berichtet der Doeksen-Chef. „Aber der Gasmotor war noch nicht fertig, und die Aussage war zunächst, dass er wohl auch nicht rechtzeitig fertig werden würde.“ So begannen die Verantwortlichen der Reederei, sich nach anderen Optionen umzuschauen – während parallel die Kollegen im mtu-Werk in Friedrichshafen die Entwicklung vorantrieben. Ihre schnellen Fortschritte und ihr Enthusiasmus ergaben schließlich eine neue Sachlage für Paul Melles: „Wir kennen mtu als erstklassigen Hersteller von Hochleistungsdieselmotoren, die enorm zuverlässig sind. Selbst wenn es jetzt um ein ganz neues Produkt geht, das sich erst etablieren muss: Von dem neuen Gasmotor sind wir komplett überzeugt.“
Herausforderungen auf dem Weg zum Ziel
Die wenigen LNG-betriebenen Schiffe, die derzeit schon in anderen Gewässern operieren, sind zumeist mit Dual-Fuel-Motoren ausgestattet – das heißt, dass sie je nach Bedarf mit Diesel oder mit Gas betrieben werden können. „Diese Option brauchen wir aber nicht, weil wir auf einer festen Route von A nach B und wieder zurück verkehren“, macht Melles deutlich. „mtu hat den ersten Single-Fuel-Gasmotor entwickelt, der einen Festpropeller direkt antreiben kann und damit ein dynamisches Beschleunigungsvermögen hat. Das war neben dem Eifer der Beteiligten ein wesentliches Argument, das uns überzeugte.“ Und so werden die beiden neuen, 70 Meter langen Katamarane von Doeksen die ebenfalls neuen 16-Zylinder-Gasmotoren der Baureihe 4000 von mtu mit einer Leistung von jeweils 1.492 Kilowatt an Bord haben, wenn sie demnächst mit einer Höchstgeschwindigkeit von 14 Knoten bis zu 600 Passagiere und 64 Pkw durch das Wattenmeer befördern.
Dabei war zwischenzeitlich nicht ganz klar, ob das Pilotprojekt tatsächlich ein erfolgreiches Ende nehmen würde. Zunächst dauerte die Zertifizierung des mobilen Gasmotors durch die Schiffsklassifikationsgesellschaft Lloyd's Register länger als ursprünglich gedacht. „Das war eine echte Herausforderung“, sagt Melles, „aber da muss ich mtu ein Kompliment machen. Sie haben es geschafft, die Prozesse zu beschleunigen und die Zertifizierung rechtzeitig zu bekommen.“ Anschließend geriet die Bauwerft in Vietnam in finanzielle Schwierigkeiten und stoppte für drei Monate die Arbeiten an den neuen Fähren. Für den 58-Jährigen, der sich während der gesamten Bauzeit etwa alle sechs Wochen vor Ort über den Fortschritt informierte, eine harte und aufreibende Zeit – bis sich die zuständigen Banken schließlich auf eine neue Projektfinanzierung einigten und es weitergehen konnte.
Die Vorfreude steigt
Geplant ist nun, dass die nach den beiden friesländischen Seefahrern und Entdeckern benannten Neuzugänge der Flotte – die Willem Barentsz und die Willem de Vlamingh – Ende Mai 2019 in Harlingen eintreffen. Nach Inbetriebnahme und verschiedenen Tests nehmen sie im Dezember 2019 erste Testfahrten auf. Danach werden beide Autofähren in den regulären Fahrplan ab 7. Januar 2020 aufgenommen Bis dahin werden auch die erforderlichen Änderungen der Infrastruktur im Hafen von Harlingen abgeschlossen sein: unter anderem ein neuer Nachtliegeplatz für ein zusätzliches Schiff, kleinere Anpassungen an der Mole zum sicheren Anlegen der Fähren und eine Bunkeranlage zum wöchentlichen Betanken. Bei Paul Melles ist die Vorfreude groß, die Katamarane in Empfang zu nehmen: „Ich war von Anfang an dabei, die sind wie Babys für mich. Es ist einfach spannend zu sehen, wie sich etwas von der ersten Idee bis zur Realisierung entwickelt. Wir haben so lange gewartet.“
Für Melles, der 33 Kilometer entfernt von seinem Arbeitsplatz wohnt und für den täglichen Arbeitsweg einen Opel Ampera mit Elektromotor nutzt, steht außer Frage, dass er bei der Jungfernfahrt mit an Bord sein wird. Als ehemaliger Seemann ist er ohnehin gerne so oft wie möglich auf dem Meer unterwegs – an den Wochenenden und im Urlaub am liebsten mit seinem eigenen Segelboot. Und während der Arbeitszeit wird er sich weiter dafür einsetzen, die Doeksen-Flotte so sauber wie möglich zu gestalten. Allerdings hält er LNG für einen Übergangstreibstoff. „Damit haben wir eine gute und praktische Zwischenlösung, doch letztlich ist LNG ein fossiler und damit endlicher Energieträger“, macht Melles deutlich. Irgendwann werde es funktionierende Lösungen für elektrische Antriebe geben, vielleicht auch für Wasserstoffantriebe. Bis es aber so weit ist, hat er noch eine andere Idee: Bio-LNG, also in Biogasanlagen gewonnenes und verflüssigtes Gas. „Damit ließe sich der CO2-Ausstoß noch einmal deutlich reduzieren“, sagt er. „Es gibt Möglichkeiten, diesen Treibstoff hier in der Region zu gewinnen. Und danach schauen wir jetzt: Das ist unser nächstes Ziel.“
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