STORY Kommerzielle Schifffahrt

„Die Gasmotoren schnurren leise wie Kätzchen“

Veröffentlicht am 29 September 2023 von Lucie Maluck, Bilder von Stadtwerke Konstanz, Robert Hack

Es hat was von Premierenstimmung: Auf dem Bodensee geht in diesen Tagen die erste europäische Binnenfähre in Betrieb, die von einem schnelllaufenden reinen Gasmotor angetrieben wird. Noch wird sie emsig getestet.
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Oli Hermann schiebt den Fahrhebel ganz nach vorne. Ganz langsam, dann immer schneller setzt sich die Fähre in Bewegung. Erst vor wenigen Wochen wurde sie auf den Namen Richmond getauft. Jetzt steht sie kurz vor der offiziellen Indienststellung und an Bord laufen die letzten Vorbereitungen. Oli Hermann ist der Kapitän an Bord. Vor der bezaubernden Kulisse des Bodensees und der Schweizer Alpen im Hintergrund testet er gerade das sogenannte „Manöver des letzten Moments“. Er beschleunigt die Fähre auf ihre maximale Geschwindigkeit von 26 km/h (14 Knoten) und bremst dann abrupt ab. Innerhalb von 32 Sekunden und nach etwa 140 Metern kommt die Richmond zum Stehen, ohne zu schlingern, fast ohne Ruckler. Test bestanden – der Kapitän zufrieden.
Oli Hermann ist Kapitän der Richmond und testet diese bis ins kleinste Detail, bevor sie in Dienst gestellt wird.

Weltweit erster schnelllaufender Gasmotor mit dynamischer Beschleunigung

Die Richmond ist die erste Binnenfähre der Welt, die mit schnelllaufenden, reinen Gasmotoren angetrieben wird. Die zwei Achtzylinder-mtu-Motoren der Baureihe 4000 haben je 746 Kilowatt Leistung. Sie unterschreiten die Stickoxid-Grenzwerte der aktuellen IMO III-Emissionsrichtlinie auch ohne Abgasnachbehandlung, emittieren keine Schwefeloxide und die Partikelmasse liegt unter der Nachweisgrenze. „Einen echten Meilenstein in der Entwicklung hin zu sauberen und emissionsarmen Verkehrslösungen“ nannte der parlamentarische Staatssekretär Michael Theurer das Schiff bei dessen Taufe. Doch die Stadtwerke wollen mehr: „Perspektivisch wollen wir das Schiff mit Bio-LNG fahren und so komplett klimaneutral unterwegs sein“, betont Christoph Witte, technischer Leiter der Stadtwerke-Fähren.


Daran denkt Oli Hermann im Führerstand der Richmond gerade nicht. Er freut sich tierisch darauf, wenn endlich Fahrgäste auf der Fähre mitfahren können. Viele Monate lang hat er die Fähre jetzt auf Herz und Nieren getestet – auch das Antriebssystem. Wobei er betont, dass da die Hauptarbeit bei seinen Kollegen Timo Bakaric und Dieter Ehinger lag. Während Oli Hermann oben auf der Brücke das Bodensee-Panorama genießen konnte, waren die beiden meistens im Maschinenraum zu finden.  

Timo Bakaric (links) und Dieter Ehinger (rechts) sind die Technikspezialisten an Bord. Sie haben das mtu-Antriebssystem installiert und gemeinsam mit dem Kundendienst von Rolls-Royce in Betrieb genommen.

Leiser und vibrationsärmer als ein Dieselmotor

Dort, unter Deck, ist es zwar nicht dunkel, aber eng. Überall an der Wand hängt silberglänzende Isolierung. Es ist warm. Trotzdem fühlt man sich wohl, denn Timo Bakaric und Dieter Ehinger verbreiten eine ansteckende Fröhlichkeit. Beide lieben den Sound der Motoren – der des Gasmotors sei bedeutend leiser als der eines vergleichbaren Dieselmotors. mtu-Dieselmotoren kennen sie, werden doch alle fünf Fähren der Stadtwerke Konstanz, die rund um die Uhr zwischen Meersburg und Konstanz pendeln, von diesen angetrieben.  


Die Gasaufbereitung, die Heiz- und Kühlsysteme, die Wärmerückgewinnung, die Stickstoffaufbereitung, die Alarmsysteme – all das mussten die beiden verstehen. Natürlich gab es Einweisungen der jeweiligen Lieferanten, „doch die sind irgendwann wieder weg, und die Fragen kommen ja immer erst danach“, so Dieter Ehinger.  


Das mtu-Antriebssystem von Rolls-Royce haben sie schnell verstanden, auch dank der guten Unterstützung der Rolls-Royce-Ansprechpartner. „Wir kennen uns ja schon von vorherigen Projekten, das hat auch dieses Mal wieder gut geklappt“, so Ehinger. Auch in den Niederlanden waren sie zu Besuch, denn dort fahren schon zwei Fähren mit mtu-Gasmotoren. „Die guten Erfahrungen der Kollegen dort haben uns motiviert, unser System aufzubauen“, so Ehinger. Doch wie funktioniert das System im Detail?  


Das mtu-Gas-Antriebssystem im Detail

Da ist zunächst der Kraftstofftank: Zwei davon gibt es an Bord, für jeden Motor einen. Beide sind weiß, rund und sieben Meter lang. Zu erreichen sind sie über eine Schleuse und auch nur, wenn man mit einem Gas-Messgerät ausgestattet ist. Sicher ist sicher. In diesen beiden Tanks werden je 18 Kubikmeter LNG gebunkert – genug, um die Fähre eine Woche lang 24 Stunden am Tag zu fahren. Das LNG wird auf minus 160 Grad Celsius runtergekühlt, damit es flüssig bleibt.  

In einem sieben Meter langen und zwei Meter hohen Tank, der von einer zehn Zentimeter dicken Vakuumschicht umgeben ist, wird das LNG gebunkert.

Erst, wenn es genutzt werden soll, bringt es die sogenannte Gas Processing Unit (GPU) wieder in einen gasförmigen Zustand. Anschließend strömt das Gas weiter in die zwei getrennten Maschinenräume. Vor jedem Motor sorgt die sogenannte Gas Regulation Unit (GRU), die bereits Teil des mtu-Systems ist, für den richtigen Druck. Von dort gelangt das Gas schließlich in die beiden Motoren. Diese liefern so die Energie für die zwei Voith-Schneider-Propeller und die Generatoren. Denn ein separates Bordstromaggregat gibt es auf der Richmond nicht.    

Zwei Achtzylinder-mtu-Gasmotoren der Baureihe 4000 erzeugen je 746 Kilowatt Leistung. Beide Motoren sind in getrennten Motorräumen untergebracht.

Es ist ein komplexes System, von dem Oli Hermann oben auf seinem Führerstand wenig mitbekommt. Die Fähre fährt sich wie jede andere auch – auch das Beschleunigungsverhalten sei unverändert. „Jede Fähre hat ihre Eigenheiten und fährt sich etwas anders, ob da jetzt ein Diesel- oder ein Gasmotor im Motorraum ist, das merke ich nicht“, sagt er. Dieter Ehinger ist da anderer Meinung:  

„Die Motoren haben eine ganz besonders ruhige Laufkultur und schnurren leise wie ein Kätzchen.“

Dieter Ehinger, Werftleiter

Ob nun „leise wie ein Kätzchen“ oder „ganz normal“ – nur noch einige Tage, dann wird die Richmond offiziell in Dienst gestellt. Dann wird die Fähre – je nach Saison – acht bis neun Mal am Tag über den Bodensee fahren und bis zu 700 Passagiere und 64 Autos von Meersburg nach Konstanz und zurück bringen. Sie reiht sich ein in eine Flotte von fünf weiteren Fähren, die alle von mtu-Motoren angetrieben werden. Und kaum einer wird ahnen, dass es hier um eine ganz besondere Fähre geht.  

Technik erklärt: Das sind die mtu-Gasmotoren

Das zeichnet mtu-Gasmotoren aus:

  • Eine Multipoint-Gaseindüsung sorgt für ein dynamisches Beschleunigungsverhalten und niedrige Emissionen. Somit wird die IMO-III-Abgasnorm eingehalten, ohne das ein Abgasnachbehandlungssystem notwendig ist. Die geregelte Verbrennung sorgt zudem dafür, dass der Kraftstoff effizient verbrannt wird.
  • Die Turboaufladung der mtu-Gasmotoren ist einstufig mit zwei parallel betriebenen, hocheffizienten Abgasturboladern. Das Aufladesystem verfügt zudem über einen steuerbaren Verdichter-Bypass und ein Ansaugdrosselungskonzept. Der Motor verfügt so im gesamten Drehzahlbereich über ausreichende Leistungsreserven für schwierige Fahrmanöver.
  • Der mtu-Gasmotor ist der einzige schnelllaufende Gasmotor auf dem Markt, der den Anforderungen des IGF-Codes der IMO für einen „gas-safe“ Maschinenraum entspricht. Das heißt unter anderem, dass alle gasführenden Leitungen zur Sicherheit doppelwandig ausgeführt sind. Somit können die Werften den Maschinenraum dieselähnlich gestalten und den Gasmotor ohne weitere Sicherheitsvorkehrungen einbauen.

Die Richmond im Detail

  • Länge: 82,5 Meter
  • Breite: 13,4 Meter
  • Gewicht: ca. 840 Tonnen
  • Fahrgäste: 700 Personen
  • Fahrzeuge: 64 PKW- Tragfähigkeit: 400 Tonnen
  • Motoren: zwei 8-Zylinder-mtu-Gasmotoren von Rolls-Royce  
  • Leistung pro Motor: 746 Kilowatt
STORY Kommerzielle Schifffahrt

Sauber unterwegs mit dem mtu-Gasmotor

Die neuen mtu-Gasmotoren treiben erste Fähren an und sind für Hafenschlepper und für ein Forschungsprojekt ausgeliefert.

von Silke Rockenstein

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