Tutto di Parma
Veröffentlicht am 15 Juni 2011 von Lucie Maluck, Bilder von Robert Hack
In der italienischen Po-Ebene wird nicht nur der weltberühmte Parmaschinken hergestellt. Hier entsteht auch Strom durch Biogas.
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Zustimmen„Es gibt auf der Welt keinen besseren Schinken als unseren Prosciutto di Parma.“ Gianni Giovanelli sagt das nicht nur, er ist davon überzeugt. Mit einem strahlenden Lächeln heißt er seine Kunden in der Salumeria Rosi in der norditalienischen Stadt Parma willkommen. In seinem Laden duftet es mild, ein Ort zum Wohlfühlen. Gianni Giovanelli lebt für Schinken, und Schweine sind für ihn die besten Tiere der Welt. Ob er wohl weiß, dass diese nicht nur die Quelle für seinen Schinken sind, sondern auch wertvolle Stromlieferanten?
Ein Mann und seine Schinken. Vielleicht wird man Gianni Giovanelli damit nicht ganz gerecht? Doch, man wird! Gianni Giovanelli lebt für Schinken – genauer gesagt für den rosarot glänzenden, mild-würzig schmeckenden Prosciutto di Parma. Seit 24 Jahren verkauft er diese norditalienische Spezialität in der Salumeria Rosi. In der belebten Via Farini inmitten der Stadt Parma ist sie Anlaufpunkt für alle Feinschmecker der Stadt. Eine Stadt, die nicht nur dem berühmten Schinken ihren Namen gab. Auch die Barilla-Nudeln stammen hierher, und – passend dazu – der beliebte Parmesankäse.
Sorgfältig und mit einem Lächeln im Gesicht legt er die hauchdünnen Scheiben, die er zuvor mit der Schneidemaschine vom großen Schinkenstück abgetrennt hat, auf eine Plastikfolie. Gianni Giovanelli liebt seinen Beruf, das sieht man ihm einfach an. „Das hier ist mein Leben“, gibt er zu. Dabei sieht er sich längst nicht nur als Verkäufer von kostbaren Schinken. „Vielleicht sollte ich mich Arzt nennen“, erzählt er schelmisch grinsend. Er fühle sich wie ein Arzt, der seine Kunden berät und ihnen zeigt, wie sie sich gut ernähren können. Und seine Kunden vertrauen ihm. So sehr, dass ihn einer sogar von einer Urlaubsreise in New York anrief, um sich Rat zu holen, welchen Schinken er denn kaufen solle. Natürlich riet Gianni ihm zu Parma-Schinken, der sei schließlich der beste der Welt. Noch wichtiger: „Der schmeckt auf der ganzen Welt gleich“, sagt Gianni. Dabei spiele es keine Rolle, ob man ihn in Parma selbst oder in New York kauft. Denn die Schweine, aus denen der Schinken hergestellt wird, stammen ausschließlich aus der italienischen Poebene. Hier – im italienischen Tiefland, das vor allem für seinen guten Wein bekannt ist – werden sie auf ganz besondere Weise gezüchtet und gehalten.
Besonderer Speiseplan
Wie genau sie gehalten werden, kann man sich in Moscazzano in der norditalienischen Provinz Cremona anschauen. Etwa eine Stunde Autofahrt von Parma entfernt lebt Pietro Beresago mit seiner Frau, seinen zwei Kindern – und seinen Schweinen. Fährt man auf seinen Hof, denkt man bestimmt nicht an Schinken. Nein, fein-würzig und mild, wie einige Kilometer entfernt in der Salumeria Rosi, riecht es hier nicht. Im Gegenteil: Die Nase brennt. Tausende Fliegen, die auf dem Hof herumschwirren, begrüßen einen. Hier in Moscazzano werden Schweine gezüchtet. 2.000 Stück. Nur wenige sind rosa-rot, wie man sie aus dem Bilderbuch kennt. Eher braun-rosa gefleckt sehen sie aus. Dicht an dicht stehen sie in einer Box in einem riesigen Stall. Es ist dunkel und laut.
„Wir behandeln unsere Schweine gut“, sagt Pietro Bertesago. Dabei gehören sie gar nicht ihm. Pietro bekommt die Schweine von einem Züchter, wenn sie zwei bis drei Monate alt sind. Er zieht sie auf bis sie 200 Kilogramm schwer sind. Dann holt sie der Züchter mit seinen großen LKW wieder ab, um sie zu verkaufen. In dieser Zeit ist Pietros Hauptaufgabe, die Tiere zu füttern und dafür zu sorgen, dass alle genug fressen. Er gibt ihnen ausschließlich Mais, Getreide, Wasser und Milchpulver. Alles andere dürfen sie nicht fressen, wenn aus ihren Hinterbacken einmal der berühmte Parmaschinken werden soll. Um herauszufinden, wie schwer seine Schweine sind, muss Pietro sie noch nicht einmal wiegen. „Die Fütterung läuft computergesteuert. So wissen wir immer genau, wie viel die Schweine gefressen haben und können ihr Gewicht berechnen“, erzählt er. Er muss nur dafür sorgen, dass jedes Schwein auch wirklich das frisst, was der Computer ihm zugeteilt hat. Der Traum eines jeden Farmers? „Nein“, sagt Pietro. Seine Augen beginnen zu leuchten, als er erzählt, dass er davon träumt, einmal wieder mit dem Traktor über das Feld zu fahren – wie früher, als sein Hof noch nicht so groß war.
10.000 Liter Milch mit 500 Kühen
Giovanni Bertoni hat sich seinen Traum schon erfüllt. Er lebt einige Kilometer weiter in dem kleinen Örtchen Sospiro und ist Besitzer eines 300-Jahre-alten Gutshofes. An diesem Hof hätte jeder Restaurator seine Freude: über 50 Zimmer, die mit ihren Wandmalereien und Verzierungen eher einem Kirchengebäude ähneln als einem Bauernhof. Drei davon hat er schon restaurieren lassen, hier will er bald mit seiner Frau einziehen. Ein Lebenstraum? „Si!“, sagt er entschlossen und schiebt wie zur Bestätigung noch drei leise „Si-s“ nach. Hier lebt einer seinen Traum.
Bisher sind auf diesem Gutshof allerdings nur seine 500 Kühe zu Hause. 10.000 Liter Milch produzieren diese täglich – für den cremigen Milchschaum auf dem Latte Macchiato, dessen Duft einen morgens beim Frühstück begrüßt. Doch für diese 10.000 Liter Milch muss Giovanni Bertoni hart arbeiten. Die Kühe müssen zwei Mal täglich gemolken und gefüttert werden, die Ställe gereinigt und der Hof gepflegt. Zuviel für Giovanni allein. Er hat nicht nur drei Helfer, auch seine beiden Söhne Sirio und Simone arbeiten mit. „Eher unwillig zunächst“, erzählt Sirio. Er wollte Rugby-Spieler werden und konnte mit dem Leben auf dem Bauernhof nur wenig anfangen. Doch das sei jetzt anders. „Mir gefällt das Leben mit den Tieren und der Natur immer besser“, so der Sohn. Mit einem Augenzwinkern fügt er hinzu: „Und ab und zu ist auch mal ein Tag Freizeit drin. Mit der richtigen Organisation geht das.“
Biogas-Pioniere
Auch Schweinebauer Pietro führt die Farm nicht mehr alleine. Sein Sohn Andrea unterstützt ihn. Zusammen haben die beiden den Hof in den vergangenen Jahren enorm vergrößert. „Angefangen haben
wir mit 18 Kühen und zwei Schweinen, jetzt haben wir nur noch Schweine, weil wir damit besser verdienen.“ Auf eins sind die beiden besonders stolz: Sie waren die ersten Farmer in der Region Cremona, die eine Biogasanlage installiert haben. Das war vor drei Jahren. Seitdem produzieren sie durchgehend 250 Kilowatt elektrische Leistung mit einem mtu Onsite Energy-Motor der Baureihe 400. Den Strom speisen sie ins öffentliche Stromnetz ein. 28 Cent zahlt ihnen die italienische Regierung pro Kilowattstunde, soviel wie nirgendwo sonst auf der Welt. Mit der Abwärme des Motors erhitzen sie Wasser, das sie im Winter zum Heizen der Schweineställe nutzen. Das Biogas entsteht einige Meter neben dem Stall. In einem großen, grünen Fermenter-Behälter vergärt Mais, Gülle und Glycerin.
Die Regierung der Provinz Lombardei hat den Mut der Bauern zu dieser Investition unterstützt und die Zinsen für ein Darlehen in Höhe von einer Million Euro übernommen. In zehn Jahren möchten Vater und Sohn dieses Darlehen komplett zurückgezahlt haben. Doch in der Zwischenzeit haben sie schon ein zweites Darlehen aufgenommen, denn vor einigen Monaten haben sie eine zweite Biogasanlage mit einem Zwölfzylindermotor von mtu Onsite Energy in Betrieb genommen. Auch diese Anlage liefert ihm 250 Kilowatt elektrische Leistung. Der Vorteil: Fällt eine Anlage aus, kann die andere Anlage auf bis zu 370 Kilowatt Leistung hochgefahren werden. So sind die Ausfallrisiken gering, denn es geht kein wertvolles Biogas verloren.
High-Tech auf den Bauernhof
Mit den Biogasanlagen hat sich auch ihre Arbeit verändert. Es geht nicht mehr nur darum, das Futter für die Schweine anzubauen und diese großzuziehen. Jetzt bauen sie auch Mais an, um damit Biogas zu erzeugen. Die Gülle der Schweine nutzen sie jetzt außer zum Düngen der Felder auch zur Biogasproduktion. Das Füllen des Fermenter-Behälters mit Mais, Gülle und Glycerin ist genauso zur täglichen Routine geworden wie das Messen der Temperatur im Behälter oder das Ablesen der Motordaten. Auch wenn der Hof mit seinen grauen Backsteingebäuden von außen betrachtet anders aussieht: Hier ist High-tech zu Hause. Und Pietro und Andrea sind eher Feuerwehrmänner als Bauern. „Eigentlich läuft das meiste vollautomatisch. Wir müssen nur reagieren, wenn etwas nicht stimmt“, erzählt Andrea. Wenn ihnen die Daten der Biogasanlage Sorgen bereiten, rufen sie ihren Kundendienstmonteur von mtu Italia an. Alessandro Maiocchi kann über ein Remote-System aus der Ferne die Motordaten einsehen, Einstellungen ändern oder Wartungsanweisungen geben. „Die Zusammenarbeit mit Alessandro ist fantastisch. Er kennt die Anlage wirklich gut und hat uns schon viele gute Tipps gegeben“, so Pietro.
Mit Biogas den Kreislauf schließen
Familie Bertoni hat auf ihrem Gutshof ebenfalls eine Biogasanlage von mtu Onsite Energy installiert. Sie produziert damit 250 Kilowatt elektrische Leistung, die sie ins öffentliche Netz einspeist. Mit der Abwärme des Motors säubern sie die Ställe und erwärmen im Winter das Trinkwasser für ihre Kühe. „Ich will mit meinem Hof unabhängig sein und außerdem einen Kreislauf schließen. All das, was auf meinem Hof entsteht, soll verwertet werden“, sagt er. Dazu gehört für ihn auch die Gülle seiner Tiere. Zehn Kubikmeter pro Tag füllt er in den Fermenter. Um genügend Mais für die Biogasproduktion anbauen zu können, hat er Felder hinzugekauft – 125 Hektar Fläche bewirtschaftet er. Und es sollen noch mehr werden, denn Familie Bertoni möchte den Hof erweitern. Derzeit lässt sie einen neuen Stall für 150 Kühe bauen, und mit noch mehr Kühen möchte sie noch mehr Biogas erzeugen. „Der Motor von mtu Onsite Energy hat eine Leistung von 370 Kilowatt. Die möchten wir ausnutzen“, erzählt Sohn Sirio.
Fast täglich kommt auf seinem Hof ein Kälbchen zur Welt. Da wird der stolze Bauer oft auch zum Geburtshelfer. Seine Frau gibt jedem Kalb einen Namen, denn Familie Bertoni hängt an ihren Kühen. Stolz zeigt Giovanni Bertoni seinen Bullen Cuzulo. Der war eine Frühgeburt und wäre als Bulle eigentlich verkauft worden, da er keine Milch gibt. Seine Frau habe das Kalb aber in ihr Herz geschlossen und mit der Flasche aufgezogen. Seitdem bekommt Cuzulo eine Sonderbehandlung, steht als einziger Bulle des Hofes in einem eigenen Stall und wacht über die Kühe.
„Nicht sentimental sein“
Solche Geschichten hat Pietro Beresago von seinem Schweinehof nicht zu erzählen. Früher, als er noch selbst Schweine gezüchtet habe, da sei sein Verhältnis zu den Tieren enger gewesen. Doch heute sind sie kaum länger als sechs Monate auf seinem Hof, da könne man keine Beziehung aufbauen. „Sentimental darf man hier nicht sein“, sagt er, während er die 800 Schweine begutachtet, die in einem der vielen Ställe zusammen untergebracht sind und aufgezogen werden, um später als Schinken bei Gianni Giovanelli im Laden zu liegen. Sobald er ihnen näher kommt, rennen die scheuen Tiere zur Seite. Nur die Fliegen sind nicht scheu und umschwirren ihn sofort. Sie scheint der beißende Geruch im Stall nicht zu stören. Wenn er über die Zukunft seines Hofes spricht, wird Pietro nachdenklich. Nein, Zukunft habe die Schweinezucht nicht, davon ist er überzeugt. Damit ließe sich nicht mehr viel Geld verdienen. Trotzdem möchte er die Schweine weiter auf seinem Hof haben, „solange es geht“, sagt er überzeugt. Die Zukunft aber, die liege woanders. „Die ist Biogas“, da sind sich Vater und Sohn einig.
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