Lomeiro unter Strom
Veröffentlicht am 14 Juli 2015 von Radek Czajkowski, Bilder von Radek Czajkowski
Vier erdgasbetriebene mtu-Stromaggregate stellen seit 2013 die Stromversorgung in vielen ländlichen Teilen Boliviens sicher.
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ZustimmenPablo Opimi Parapinos (59) Dorf San Pablo liegt in der Region Lomeiro, nur sieben Stunden Fahrtzeit – für bolivianische Verhältnisse ein Katzensprung – von der wirtschaftlichen Metropole Boliviens, Santa Cruz de la Sierra, entfernt. Dennoch stellt die Stadt für ihn eine völlig andere Welt dar. Um dies auch nur ansatzweise zu verstehen, muss man sich vor Augen führen, dass das erdgasreiche Santa Cruz mit 370.000 Quadratkilometern der größte Verwaltungsbezirk des südamerikanischen Binnenlandes ist. Gleichzeitig leben hier weniger als drei Millionen Menschen – verteilt auf eine Fläche größer als Deutschland. Die Mehrheit davon wohnt zudem im urbanen Zentrum.
Soziale Verpflichtung
Der lokale Stromversorger, die Cooperativa Rural de Electrificación (CRE), nach eigenen Angaben mit über 500.000 Mitgliedern die weltweit größte Stromerzeugerkooperative, sieht sich in diesem Zusammenhang mit vielen Herausforderungen konfrontiert. Die Anlagen und Stromstraßen mit den dazugehörigen Transformatoren müssen an eine heiße Umgebung mit hoher Luftfeuchtigkeit angepasst werden. Auf dem Land sind die Leitungen darüber hinaus lang, haben aber gleichzeitig nur wenige Abnehmer. Mit anderen Worten: Hohen Investitionskosten stehen nur geringe Einnahmen gegenüber. Die Kooperative sieht die Stromanschlüsse für die Gemeinden in ländlichen Gebieten vor allem als eine soziale Verpflichtung. „Nur zwölf Prozent der Abnehmer leben in den ländlichen Regionen von Santa Cruz, gleichzeitig werden dort acht Prozent der Einnahmen erwirtschaftet“, erklärt Dr. Fernando Haderspock, Verantwortlicher bei der CRE für die Versorgung der ländlichen Gebiete. Dennoch wurden zwischen den Jahren 2012 und 2015, der investitionsstärksten Periode in der über 50-jährigen Geschichte des Stromversorgers, 20 Prozent der Investitionen für die Elektrifizierung der weit auseinanderliegenden Dörfer und Kleinstädte aufgewendet. Umso wichtiger war in diesem Zusammenhang die Anschaffung effizienter, zuverlässiger Anlagen, die mit bestehenden Systemen im Parallelbetrieb funktionieren würden. In Bolivien wird verstärkt auf Erdgas gesetzt, das es im Vergleich zu Diesel deutlich billiger ist.
Die mtu-Gensets sind zweifellos auf dem neusten Stand der Technik und dadurch effizienter als andere Anlagen.
Effizienz und Zuverlässigkeit
Die ersten erdgasbetriebenen mtu-Stromaggregate wurden im Jahr 2013 installiert und sofort vom Betreiber im kontinuierlichen Einsatz auf Herz und Nieren getestet. Das Resultat ist aus Sicht der CRE eindeutig: „Die mtu-Gensets sind zweifellos auf dem neusten Stand der Technik und dadurch effizienter als andere Anlagen, weshalb wir sie jetzt im Dauerbetrieb einsetzen“, sagt Dr. Haderspock.
Von Anfang an überzeugte nicht nur die auf Mittel-spannungsebene – 40 Prozent gegenüber 35 bis 37 Prozent der meisten anderen Anlagen – sondern auch die längeren Wartungsintervalle. Die letzten kritischen Stimmen bei der CRE verstummten, als die Anlagen nach einem Jahr Einsatz unter erschwerten Bedingungen wie hoher Luftfeuchtigkeit, Staub und halboffenen Betriebssälen ihre Zuverlässigkeit bewiesen.
Zudem hat mtu in Gerona Power einen sehr guten Vertriebspartner vor Ort gefunden, der mit seinem hochqualifizierten Personal sicherstellt, dass die Anlagen auch in Zukunft einwandfrei funktionieren. Neben der Effizienz war die Anpassung der mtu-Gensets an die lokalen Betriebsbedingungen relativ unkompliziert. „Dank der engen Zusammenarbeit zwischen den bolivianischen und deutschen Kollegen, die bedeutend durch die modernen integrierten Ferndiagnosesysteme erleichtert wurde, konnten die passenden Einstellungen schnell gefunden werden“, so Ingenieur Abel Dominguez, Geschäftsführer von Gerona Power.
Auch Juan Carlos Mejia, Manager Sales Continuous Gas Latin America, hebt die Bedeutung eines zuverlässigen Partners vor Ort hervor: „Unser gebündeltes Know-how in Vertrieb, Entwicklung, Service und Projektabwicklung wurde an Gerona Power transferiert.“ Zusammen musste man einige Herausforderungen bewältigen: „Bolivien war für mtu Onsite Energy nicht nur ein komplett neuer Markt, sondern hier wurden auch noch die erdgasbetriebenen mtu-Stromaggregate zum ersten Mal überhaupt in Südamerika erfolgreich im Parallelbetrieb mit anderen Systemen installiert. Ohne unseren Partner wäre der Markteinritt in Bolivien nicht möglich gewesen“, betont Mejia.
Insgesamt wurden an fünf zentralen Standorten, die alle an das bolivianische Erdgasnetz angeschlossen sind und die Dörfer der jeweiligen Region mit Strom versorgen, vier Aggregate der Baureihe 20V 4000 L62, fünf Anlagen der Serie 12V 4000 L62 und ein dieselbetriebenes System vom Typ 16V 4000 installiert. Die Dörfer selbst sind nicht an das Erdgasnetz angeschlossen und werden mit Gasflaschen versorgt.
Strom in San Pablo
Von all dem hat Don Opimi nichts mitbekommen. Er ist einfach nur glücklich, dass sein Dorf seit 2013 endlich von der San-Ramón-Anlage zuverlässig mit Strom versorgt wird. Denn damit erhöhte sich die Lebensqualität seiner Familie drastisch.
Kurz nach dem Ausbau der Stromstraßen kamen auch die Funkantennen des staatlichen Telekommunikations-unternehmens, die den Kontakt unter den teilweise weit verstreuten Familien erheblich erleichterten. So kam es, dass die sechsjährige Romina, die bei ihren Großeltern im kleinen San Pablo aufwächst, ihre Mutter zum Muttertag zwar nicht sehen, aber zumindest anrufen konnte. In der Regenzeit, wenn einige Straßen nicht mal mehr mit dem Motorrad passierbar sind, erleichtert die Netzabdeckung auch die Kommunikation in Notfällen. Rominas Großeltern haben inzwischen einen kleinen Kiosk eröffnet, um ihre Einkünfte aus der Landwirtschaft aufzubessern. Ihr ganzer Stolz ist eine gebraucht gekaufte Kühltruhe, dank der sie die Familien im Dorf an heißen Tagen mit gekühlten Getränken versorgen können. „Wir können jetzt auch nachts noch arbeiten, wenn es notwendig ist“, sagt Don Pablo. Denn viele seiner Kunden, selbst Bauern, kommen meist abends, nach einem langen und anstrengenden Tag auf dem Feld.
Neue Lebensqualität
Ein paar Kilometer von San Pablo entfernt liegt die Ortschaft Puquio, mit 500 Einwohnern eine der größeren Ortschaften in einem Umkreis von 100 Kilometern. Hier sind die Änderungen noch weitreichender. Im Jahr 2014 wurde eine elektrisch betriebene Wasserpumpe im Ort in Betrieb genommen. Damit hat die Lebensqualität der Bewohner einen enormen Schritt nach vorne gemacht: Sie müssen nicht mehr jeden Tag mit Eimern zu einer zentral gelegenen manuellen Pumpe laufen, sondern bekommen nun das Wasser zu Hause aus dem Wasserhahn. Was für viele so selbstverständlich klingt, dass man darüber gar nicht erst nachdenkt, ist hier der verständliche Stolz einer ganzen Gemeinde.
Dabei hat Puquio noch mehr zu bieten. Seit 2009 ist hier ein kommunales Radio in Betrieb, das aber erst seit 2013 kontinuierlich senden kann. Zuständig für das Programm ist der 27-jährige Ignacio Soqueré Motoré. Gefragt nach dem größten Vorteil für den Sender, muss er nicht lange nachdenken: „Jetzt können wir länger senden, damit gewinnen wir vor allem an Glaubwürdigkeit“. Um sich auf dem Laufenden zu halten nutzt er die zugegebener Weise etwas langsame Internetverbindung des Funkbetreibers, aber zumindest kann er so die aktuellsten Nachrichten abrufen.
Jetzt können wir länger senden, damit gewinnen wir vor allem an Glaubwürdigkeit.
Zudem hat die kontinuierliche Stromversorgung einen weiteren großen Vorteil, den man leicht übersehen könnte: Der Verbrauch von Einwegbatterien für die Radios ist stark gesunken. Dies ist in einem Land, in dem es in den ländlichen Regionen gar keine oder kaum funktionierende Entsorgungsstrukturen gibt und die Menschen oft nicht wissen, wie schädlich dieser Abfall sein kann, von großer Bedeutung.
Bezahlbare Energie
Seit 2008 gibt es auch eine Schreinerei in Puquio. Nicolas Cecari Peña (42) arbeitet inzwischen hauptberuflich in dem Betrieb. Viel kann er für seine Arbeit von den Bewohnern der umliegenden Dörfer nicht verlangen, aber er verdient immerhin mehr als früher in der Landwirtschaft. Die große Änderung kam im Jahr 2013, als der kleine Betrieb vom dieselbetriebenen Generator auf das Stromnetz umstellen konnte. „Als wir noch Diesel kaufen mussten, zahlten wir 120 Dollar pro Woche. Inzwischen zahlen wir je nach Auslastung 50 bis 120 Dollar im Monat“, rechnet Don Nicolas vor. So bleibt mehr Geld für ihn und seine Familie.
Gegen halb sieben wird es dunkel in der Region Lomeiro. Ob in San Pablo, Puquio oder in einem der anderen umliegenden Dörfer – in der einsetzenden Dunkelheit gehen überall wie selbstverständlich die Lichter an. Es ist Muttertag in Bolivien und die Dorfbewohner kommen in den Schulen zusammen, um den besonderen Tag abends noch mit Vorführungen und Tänzen zu feiern. Der Strom mag das Leben hier nicht völlig verändert haben, aber er hat es entscheidend erleichtert.
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