STORY Bahn

Drache auf Schienen

Veröffentlicht am 09 August 2018 von Lucie Maluck, Bilder von Shutterstock, mtu-Archiv

Über den Aufstieg Chinas zum global Player für Bahntechnik.
Beijing, China

Wer an die Mobilität denkt, die ein Land verändern kann, der hat heute fliegende Taxis oder selbstfahrende Autos im Kopf, nicht aber Lokomotiven und Güterwagen. Künstliche Intelligenz statt Stahl und Blech – doch China exportiert gerade Stahl und Blech in Form von Lokomotiven und Waggons. Das Reich der Mitte wird zum Drachen auf Schienen und bringt so die Wirtschaft in Ländern wie Argentinien, Südafrika oder in Schwung.

Eine einzige funktionierende Lokomotive und ein marodes Schienennetz: Das war der Ausgangspunkt, als China in Madagaskar aktiv wurde. Im Jahr 2008 erhielt der dortige Betreiber Marda-Rail fünf Lokomotiven für das Eisenbahn-Modernisierungsprogramm. Die Lieferung der chinesischen Lokomotiven war ein Wendepunkt für den afrikanischen Inselstaat: Nach Angaben der Weltbank, die bei der Finanzierung half, belebte das Projekt den Güterverkehr enorm.

Seit dem Jahr 2008 fahren auf Madagaskar Lokomotiven mit mtu-Antrieb.

China selbst hat dieses Eisenbahn-Modernisierungsprogramm schon hinter sich. Das Schienennetz des Landes ist etwa 124.000 Kilometer lang und das weltweit größte Netz für Schnellzüge. Der Markt ist gesättigt – jetzt exportiert das Land   seine moderne Bahntechnologie. Die China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) ist der weltgrößte Bahnkonzern - anderthalbmal so groß wie die Bahnsparten der Konkurrenten Alstom, Bombardier und Siemens zusammen. Im Jahr 2015 erwirtschaftete der Koloss elf Prozent seines Umsatzes von rund 32 Milliarden Euro im Ausland. Kunden gibt es auf der ganzen Welt, unter anderem in Neuseeland, Madagaskar, Südafrika oder Argentinien. Die Kooperation mit dem chinesischen Staat läuft dabei glänzend: CRRC liefert das Equipment, das Land unterstützt die Kunden finanziell mit günstigen Krediten.  

Investition in Argentinien

So auch in Argentinien. Einst hatte das Eisenbahnsystem des Landes zu den weltweit besten gehört. Der atemberaubende klassizistische Bahnhof Retiro Station in Buenos Aires ist noch ein Symbol aus dieser Zeit. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts hatte sich der Zustand des einst weltberühmten Schienennetzes derart verschlechtert, dass Züge auf weiten Teilen nur noch mit fünf Kilometern pro Stunde fahren konnten. Im Jahr 2010 verkündete die argentinische Regierung ein Revitalisierungsprogramm für die Bahn – mit Hilfe aus China. Das Reich der Mitte stellte zehn Milliarden Dollar in Form niedrig verzinster Darlehen mit 19-jähriger Laufzeit für zahlreiche Projekte zur  Verfügung.

Seit dem Jahr 2016 liefert der chinesische Bahnkonzern CRRC Güterzuglokomotiven nach Argentinien.

Diese investierte die argentinische Regierung in Züge aus China. Im Jahr 2013 lieferte die CNR Corporation, ein Vorgängerunternehmen von CRRC, 20 Lokomotiven für Argentiniens Personenzüge. Gleichzeitig übernahm die China Machinery and Engineering Corp (CMEC), ein staatliches Bau- und Konstruktionsunternehmen, einen Auftrag im Wert von 2,4 Milliarden Dollar über den Beginn der Reparatur von fast 5.000 Schienennetzkilometern der Belgrano-Güterverkehrsstrecke im Norden Argentiniens. Im weiteren Projektverlauf verdoppelte CMEC die Finanzierung durch weitere 2,4 Milliarden Dollar im Rahmen eines Vertrags, der auch die Lieferung von 100 neuen Diesellokomotiven von CRRC umfasste. Im Laufe des Jahres 2018 wird die gesamte Flotte – angetrieben von 2.200 Kilowatt starken mtu-Motoren – im Einsatz sein. Die Modernisierungsarbeiten der Belgrano-Strecke sollen im Jahr 2019 beendet sein. Das hilft der Landwirtschaft Argentiniens. Derzeit werden 96 Prozent des im Inland transportierten Getreides per Lkw befördert. Die Fracht per Bahn ist nahezu viermal energieeffizienter und daher günstiger.

Züge für den industriellen Wandel

Der erste CRRC-Kunde westlich von China war der neuseeländische Bahnbetreiber Kiwi-Rail. In den 1980er-Jahren begann Neuseeland, sich von einem Agrarstaat zu einer modernen Marktwirtschaft zu wandeln. Neben dem Tourismus spielt dabei auch der Export von Milch, Holz, aber auch Ziegen- und Schaffleisch oder Butter eine wichtige Rolle. Für den Transport setzte der pazifische Inselstaat auf einen Zehnjahresplan, um das marode Bahnsystem zu modernisieren. Im Jahr 2009 erwarb Kiwi-Rail 20 Diesellokomotiven beim CRRC-Vorgängerunternehmen CNR Dalian. Folgeaufträge in den Jahren 2013, 2015 und 2017 erhöhten die Anzahl der bestellten Fahrzeuge auf 63. Auch dank dieser Züge transportierte KiwiRail 2016 über 100 Millionen Tonnen Fracht.  

Angetrieben von deutschen mtu-Motoren ziehen KiwiRails chinesische ?DL-Class-Lokomotiven Güterzüge mit mehr als 2.000 Tonnen Gewicht.

Chinas Durchbruch auf dem westlichen Markt

Kurz nach Abschluss des ersten Vertrags mit Kiwi-Rail erhielt der chinesische Hersteller CSR Ziyang, ein Tochterunternehmen von CRRC, den Auftrag, Züge im Wert von 100 Millionen chinesischen Renminbi (etwa 12,7 Millionen Euro) an das australische Unternehmen SCT Logistics zu liefern. Die Züge ziehen bereits seit dem Jahr 2012 – angetrieben von 3.000 Kilowatt starken  
20-Zylinder-mtu-Motoren der Baureihe 4000 schwere Fracht- und Eisenerzzüge in Australien. Für CRRC war dieser Auftrag der endgültige Durchbruch in den westlichen Markt. Denn es folgten weitere Bahnaufträge von verschiedenen australischen Betreibern wie Bradken, Pacific National und Qube.

Die neue Seidenstraße: von China nach Europa mit der Eisenbahn

Und der chinesische „Bahnsinn“ geht weiter. Peking hat mit dem Projekt „Neue Seidenstraße“ eine milliardenschwere Logistikoffensive gestartet. Gigantische neue Trassen sollen China mit Europa verbinden. Mit einer Vielzahl an Bauprojekten – Straßen, Bahngleise, Pipelines, Kraftwerke, Telekommunikationsnetze, Häfen und Flughäfen – will China die Erd- und Wassermassen Europas und Asiens verbinden. Aus dem chinesischen Chongqing führt bereits eine 11.000 Kilometer lange Bahnverbindung bis zum deutschen Logistikzentrum in Duisburg. Mittlerweile kommen wöchentlich 25 Züge aus China dort an. Die neu eingerichtete Bahnverbindung ist halb so teuer wie Luftfracht und doppelt so schnell wie der Seeweg. Sie lohnt sich daher für zeitsensible Güter wie Aktionswaren, aber auch teure Waren wie Automobilteile oder Elektronik.  

mtu und CRRC kooperieren

Ende 2017 vertieften mtu und CRRC ihre erfolgreiche Zusammenarbeit. Sie unterzeichneten ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft. In dieser ist geregelt, dass CRRC in Zukunft weiterhin mtu-Motoren als Antriebslösungen für Dieseltriebwagen und Lokomotiven berücksichtigen wird. Auch wollen beide Unternehmen gemeinsam an zukünftigen Antriebslösungen wie Hybridantrieben und Gasmotoren arbeiten. In den vergangenen Jahren hat CRRC bereits 500 mtu-Motoren der Baureihe 4000 bestellt. „Ein mtu-Motor kostet CRRC mehr als ein Wettbewerbsmotor“, sagt Tony Chan, Leiter des Motorenvertriebs für China bei mtu. „Aber er ist leichter und kleiner und verbraucht weniger Kraftstoff. Außerdem loben die Kunden unseren Kundendienst“, sagt er.

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